Schwindel - viele mögliche Ursachen

So einfach die Diagnose Schwindel klingt, so komplex ist die Suche nach den Gründen für das Karussell im Kopf. Denn: Andere Ursachen verlangen andere Therapien. Deshalb steht am Anfang der Behandlung eine ausführliche Befragung der Patienten. Und sie beginnt bei mir immer damit, herauszufinden, ob es sich um einen Schwank- oder einen Drehschwindel handelt. Dann ist entscheidend, ob es Attacken oder andauernde Beschwerden sind, ob die Symptome provozierbar sind oder scheinbar aus dem Nichts auftreten. 

Wie sich ein Schwankschwindel anfühlt, kann man gut nachempfinden, wenn man schon einmal unter Deck eines Schiffes Seegang erlebt hat. Dass der Gleichgewichtssinn irritiert ist, hat mit den unterschiedlichen Botschaften zu tun, die uns der Körper in diesem Falle signalisiert. Während das Auge eine stabile Umwelt wahrnimmt, wird der Gleichgewichtssinn durch den Seegang heftig gereizt. Wenn unsere Sinnesorgane jedoch unterschiedliche Dinge wahrnehmen, dann entsteht Schwindel. Und dieses Gefühl kann andauern: Denn betritt man anschließend wieder das Festland, erlebt man den Untergrund alles andere als „fest“. Nach wie vor scheint der Boden wie auf dem Schiff zu schwingen, und es dauert einige Zeit, bis der Körper wieder ins Gleichgewicht findet.

Einen Drehschwindel kennen viele aus ihrer Kindheit. Man dreht sich längere Zeit im Kreis, stoppt plötzlich ab und hat dann Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten und nicht umzufallen. Bis sich das Chaos in unserem Kopf, das durch die verschiedenen Eindrücke von Auge und Gleichgewichtsorgan hervorgerufen wird, wieder zu einem festen Bild zusammenfügt, können viele Sekunden vergehen. 

Wenn die Welt zu kreiseln beginnt, ist meistens das Gleichgewichtsorgan im Innenohr betroffen. Der Drehschwindel lässt sich in drei große Krankheitsbilder unterteilen: Wir unterscheiden zwischen einem Lagerungsschwindel, einem Schwindel, dem eine Entzündung des Gleichgewichtsnervs zugrunde liegt, und dem so genannten Morbus Menière. 

Die häufigste Form des Drehschwindels ist der gutartige Lagerungsschwindel. Er tritt wie aus heiterem Himmel auf: Man wacht nachts auf, verändert die Lage des Kopfes, etwa indem man sich auf die Seite dreht, und plötzlich geht es los. In dieser Situation hilft nur eines: Sich schnell auf den Rücken zu drehen und abzuwarten, bis die Gegenstände ringsum wieder zum Stehen kommen. Das ist allerdings nicht ganz so einfach, wie es klingt: Denn diese Schwindelattacken, die mehrere Sekunden bis hin zu einer Minute andauern und bei einer neuerlichen Drehbewegung des Kopfes wieder auftreten können, lösen heftige Übelkeit aus, manchmal sogar mit Erbrechen. Charakteristisch für diese Schwindelform sind die zuckenden Augenbewegungen. Schuld am Lagerungsschwindel sind kleine Kristalle – sogenannte Otolithen. Sie entstehen durch Auskristallisieren von Salzen in der Flüssigkeit der Bogengänge des Innenohrs. Dort reizen sie dann die empfindlichen Sinneshärchen. Ein gezieltes Lagerungstraining hilft dabei, den Schwindel wieder zum Verschwinden zu bringen. „Manchmal reicht schon eine einfache Drehbewegung aus, damit die Kristalle den Bogengang wieder verlassen. Im Idealfall plumpsen sie regelrecht heraus. Gelingt dies nicht beim ersten Mal, werden die Patienten von den Physiotherapeuten mit bestimmten Lagerungsmanövern vertraut gemacht – je nachdem, in welchem Bogengang sich die kleinen Kristalle befinden. 

Der Lagerungsschwindel ist zwar lästig und unangenehm, doch er ist ungefährlich. Weniger harmlos für Betroffene ist hingegen ein Dauer-Drehschwindel, der Tage, ja Wochen andauern kann und meistens mit Übelkeit und Erbrechen ein- hergeht. Er wird häufig durch eine Entzündung des Gleichgewichtsnervs im Innenohr ausgelöst. Bislang weiß man zwar nicht, wie diese entzündlichen Prozesse entstehen. Wir können aber mit der Gabe von Cortison und einem Gleichge- wichtstraining sehr wirksam dafür sorgen, dass die Erkrankung abklingt.

Treten hingegen mit Abstand von Wochen oder Monaten immer wieder Attacken von Drehschwindel mit Hörstörung und Ohrensausen auf, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den so genannten Morbus Menière: In der Hörschnecke gibt es zwei Flüssigkeiten, die durch eine Membran getrennt sind. Beim Morbus Menière reißt diese Membran ein und es kommt zu einer Vermischung der beiden Flüssigkeiten; dieser Prozess löst die Beschwerden aus. Heil- bar ist die Krankheit nicht. Man kann zwar den Attacken durch die hochdosierte Gabe des Medikaments Betahistin vorbeugen, doch leider kommt es im Laufe der Zeit immer wieder zu Rissen der Membran und entsprechenden Ver- narbungen. Das führt auf Dauer zu einer Schädigung des Gehörs – schlimmstenfalls bis hin zur Taubheit.

Sehr selten wird der Drehschwindel durch gutartige Tumoren am Gleichgewichtsnerv ausgelöst, die mit Hilfe der Magnetresonanztomografie diagnostiziert werden können und sich in der Regel gut operativ entfernen lassen.

Besonders bei jungen Patienten, die über Drehschwindel klagen, muss man auch eine Multiple Sklerose in Betracht ziehen. Denn ein akuter Schub geht häufig mit Gleichgewichtsstörungen und Schwindel einher.

Fast jeder hat es schon einmal erlebt: Man steht schnell vom Bett oder vom Stuhl auf, und plötzlich wird einem „schwummerig“ oder schwarz vor Augen. Unwillkürlich greift man nach dem nächsten festen Gegenstand, um sich auf den Beinen zu halten. Der Schwankschwindel, bei dem die Umwelt bedenklich ins Wanken geraten kann, geht mit Benommenheit, Stand- und Gangunsicherheit einher. Vor allem ältere Menschen sind von dieser Schwindelform betroffen. Obwohl die Attacke meist nur wenige Sekunden anhält, kann sie dennoch übel enden. Stürze mit der Gefahr von Knochenbrüchen bis hin zu einer Bewusstlosigkeit können die Folge sein – ganz abgesehen von der psychischen Belastung; denn wer einmal erlebt hat, wie ihm im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen entzogen wird, der wird unsicher und ängstlich. Denn nie ist man vor der nächsten Schwindelattacke sicher. In der überwiegenden Zahl der Fälle liegen dem Schwankschwindel Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems zugrunde, etwa eine Störung der Blutdruckregulation, Herzrhythmusstörungen oder bestimmte Herzerkrankungen.

Eine besondere Form des Schwankschwindels kann bei Menschen auftreten, die an einer Polyneuropathie leiden. Dabei handelt es sich um eine Störung besonders in den Beinnerven, die durch verschiedene Grunderkrankungen ausgelöst werden kann, etwa durch Diabetes mellitus, Infektionen oder Tumoren. Durch die Erkrankung können die Betroffenen den Untergrund nicht mehr richtig wahrnehmen. Sie fühlen sich wackelig auf den Beinen und sind unsicher beim Laufen.

Schwindel und Schlaganfall

Wenn neben dem Schwindel noch weitere Symptome wie Lähmungen, Sprech-, Sprach-, Bewegungsstörungen oder heftige Kopfschmerzen hinzukommen, kann dies auch auf einen Schlaganfall hindeuten. Dann sollte man keinen Moment zögern und sofort den Rettungsdienst unter 112 rufen. In einer Schlaganfallbehandlungseinheit (Stroke Unit) stehen rund um die Uhr Mediziner bereit, die sofort mit der notwendigen Diagnostik und Therapie beginnen. Denn bei einem Schlag- anfall, bei dem ein Blutgefäß im Gehirn zerreißt oder durch einen Blutpfropfen verstopft wird, möglichst zu vermeiden.

Schwindel und Medikamente

Wer regelmäßig die Beipackzettel seiner Medikamente studiert, wird feststellen, dass dort häufig „Schwindel“ als Nebenwirkung vermerkt ist. Fast alle Medikamente, die zentral am Gehirn wirken, etwa Schmerzmittel, Opiatabkömmlinge oder Antiepileptika, können Schwindel hervorrufen. Auch die Wechselwirkung von Medikamenten oder eine hohe Dosierung etwa von Blutdrucksenkern oder Beruhigungsmitteln kann dazu führen, dass die Welt ins Taumeln gerät.

Schwindel und Psyche

Wenn der Boden schwankt, man sich unsicher auf den Beinen fühlt und ständig hinzufallen fürchtet, suchen die Mediziner bei einigen Patienten vergebens nach einer körperlichen Ursache für die geschilderten Beschwerden. Manchmal ste- cken nämlich Depressionen oder Angsterkrankungen hinter den Schwindelattacken. Dann hilft Psychotherapie.

Das Gute ist, dass wir in der Regel herausfinden, was zu dem Schwindel geführt hat. So können wir die meisten Patienten mit einer entsprechenden Therapie vom Schwindel befreien. 

Dieser Beitrag ist im Herzschlag, der Zeitschrift des Herz-Jesu-Krankenhauses Münster-Hiltrup, im Januar 2015 erschienen, verfasst von Frau Dr. Mechthild Quernheim, Medizinjournalistin, in Zusammenarbeit mit Dr. Michael Kros

 

 

 

 

 

 

 

  •  

Arzt

Die ist ein Experten-Beitrag von:
Dr. med. Michael KrosDr. med. Michael Kros
[]