Fastentrends wie Intervallfasten oder längere Heilfastenkuren sollen einige gesundheitliche Vorteile mit sich bringen. Doch nicht jede:r profitiert gleichermaßen davon. Johanna Katzera und Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann, Expertin für Präventionsmedizin und Mikrobiomforschung, betrachten in ihrem Buch „Der neue Fasten-Code“ die Hintergründe zu den verschiedenen Fastenformen. Mit ihrer langjährigen Erfahrung räumen sie gleichzeitig mit Mythen auf und geben praktische Ratschläge, wie Fasten gesund und effektiv gestaltet werden kann. Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann hat uns diesbezüglich einige Fragen beantwortet.
sanego: Was hat Sie dazu inspiriert, den „neuen Fasten-Code“ zu entwickeln und dieses Buch zu schreiben? Gab es persönliche Erfahrungen, die Ihnen besonders wichtig waren?
Michaela Axt-Gadermann: Ich beschäftige mich schon seit mehreren Jahrzehnten mit dem Mikrobiom, damals nannte man es noch „Darmflora“. Mir ist also die Bedeutung eines artenreichen, diversen Mikrobioms sehr bewusst. Ich selbst führe gelegentlich Intervallfastentage durch, habe aber noch nie eine Heilfastenkur gemacht, da mir die verschiedenen Formen der Darmreinigung in Bezug auf ihren gesundheitlichen Nutzen suspekt waren. Inzwischen belegen zahlreiche Studien, dass gerade die begleitenden Maßnahmen beim Heilfasten wie „Glaubern“ oder „Colon Hydrotherapie“ Dysbiosen begünstigen. Dennoch wollte ich mit dem Buch eine Lanze für das Fasten brechen, denn Fasten in seinen verschiedenen Formen - sei es Intervallfasten oder auch längere Phasen der Kalorienreduktion oder des Nahrungsverzichts - haben zahlreiche, nachweislich positive Effekte für unsere Gesundheit.
sanego: Viele Fastenkonzepte, wie das klassische Heilfasten, bestehen seit Jahrzehnten oder länger. Warum war es aus Ihrer Sicht notwendig, einige dieser Ansätze zu hinterfragen?
Michaela Axt-Gadermann: Die klassischen Heilfastenkuren sind altbewährt – und genau darin liegt das Problem. Trotz oder gerade aufgrund ihrer jahrzehntelangen Tradition sollten sie anhand aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse kritisch hinterfragt werden. Die Konzepte wurden vor rund 100 (Fastenkuren nach F.X. Mayr und Buchinger) bzw. 200 Jahren (Schroth-Kur) entwickelt und seitdem – mit einigen geringen Änderungen – so beibehalten. Vor mehr als 100 Jahren wusste man nichts über das Mikrobiom, den Stoffwechsel oder die Bedeutung von Ballaststoffen für den Darm. Vor allem die Erkenntnisse zum Thema Mikrobiom, die man in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewonnen hat, zeigen, dass das Heilfasten, so wie es heute noch durchgeführt wird, nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft ist. Heute wissen wir, dass der Darm kein Abflussrohr ist, dass erst mal gereinigt werden muss, sondern dass er mit dem Mikrobiom eines der artenreichsten Ökosystem der Erde beherbergt. Studien zeigen eindeutig, dass jede Art der Darmreinigung, sei es Glaubern, das bei manchen Heilfastenkuren jeden zweiten Tag durchgeführt werden muss, oder Darmspülungen, dieses Ökosystem nachhaltig beschädigt. Werden dann noch tage- oder wochenlang ballaststoffarme Weißmehlbrötchen als Fastenspeise verzehrt, nimmt man dem Mikrobiom jegliche Möglichkeit, sich zu regenerieren.
sanego: Ihr Buch erwähnt häufige Mythen rund um das Fasten. Welcher ist Ihnen dabei besonders aufgefallen?
Michaela Axt-Gadermann: Da gibt es tatsächlich einige Mythen, über die man sprechen sollte. Ich möchte gerne drei davon aufgreifen.
Meiner Meinung nach ist die „Fastenkrise“ ein solcher Mythos. Darunter fassen Fastenleiter Beschwerden wie starke Kopfschmerzen, Kreislaufprobleme und Müdigkeit zusammen, unter denen viele Fastende in den ersten zwei bis drei Tagen des Heilfastens leiden. Eine gängige Erklärung ist, dass die Beschwerden durch die Mobilisierung von Toxinen durch das Fasten hervorgerufen würden. Wir konnten jedoch bei mehreren Fastengruppen auf Sylt und im MyMayr Ressort in Bad Birnbach feststellen, dass ohne Darmreinigung auch die Fastenkrise bei nahezu allen Fastenteilnehmern ausbleibt. Kreislaufprobleme, niedriger Blutdruck und Müdigkeit sind nämlich Folgen der Austrocknung und der Elektrolytstörungen, die durch das Abführen verursacht werden. Abführen vor dem Fasten ist unnötig, schädigt das Mikrobiom und hat eher psychologische Effekte. Die Kopfschmerzen sind unserer Erfahrung nach in fast allen Fällen klassische Koffeinentzugskopfschmerzen. Beim „Mikrobiomfasten nach Prof. Axt-Gadermann“, das im Buch „Der Neue Fasten Code“ ausführlich beschrieben wird, soll auf Darmreinigungen jeglicher Art verzichtet werden und auch Kaffee darf genossen werden, denn Kaffee unterstützt sogar den Fastenprozess.
Und damit kann man gleich den zweiten „Fasten-Mythos“ aufgreifen, nämlich dass man während einer Heilfastenkur auf Kaffee verzichten muss. Kaffee würde den Körper „übersäuern“ und den Fastenprozess stören. Richtig ist aber, dass Kaffee Fastenprozesse sogar unterstützen und verstärken kann. Eine französische Forschergruppe fand heraus, dass der Genuss sowohl von koffeinfreiem als auch koffeinhaltigem Kaffee bereits nach spätestens vier Stunden Autophagieprozesse unter anderem in Leber, Muskeln und Herz hervorruft. Die Autophagie bezeichnet den Prozess in Zellen, mit dem sie eigene Bestandteile abbauen und verwerten. Diese wird auch durch das Fasten selbst aktiviert und ist einer der Gründe für die vielen gesundheitsförderlichen Effekte des Nahrungsverzichts. Fastet man allerdings ohne Kaffeegenuss, benötigt der Organismus 14 bis 16 Stunden, um den nützlichen Autophagieprozesse anzukurbeln, mit Kaffee startet das Programm schon nach 4 Stunden.
Ein weiterer Mythos ist, dass „Giftstoffe“ aus dem Darm in den Körper gelangen und der Stuhl im Darm zu gären beginnt, wenn man den Darm zu Beginn der Fastenkur nicht gründlich reinigt. Heilfasten-Vertreter betonen auch immer wieder, dass das regelmäßige Abführen dem Entgiften dienen würde. Das ist tatsächlich falsch. Unser Körper wird definitiv nicht durch verbliebene Stuhlreste beim Nahrungsverzicht vergiftet.
sanego: Zwischen Fasten und Entgiften gibt es einige Unterschiede. Können Sie uns ein paar davon nennen?
Michaela Axt-Gadermann: Gerne wird Fasten als eine Maßnahme zum Entgiften beworben und eine Darmreinigung beim Heilfasten soll „Schlacken“ und „Toxine“ aus dem Körper schwemmen, Kräutertees Gifte ausspülen und Saftfasten die Leber entgiften. Nichts davon ist bewiesen. Neben Nieren, Leber, Lunge und Haut ist vor allem das Darmmikrobiom wichtig für den Entgiftungsprozess des Körpers. Das Darmmikroben verfügt über eine umfangreiche Fähigkeit, Umweltchemikalien zu metabolisieren und ist am Stoffwechsel von mehreren Dutzend Umweltschadstoffen beteiligt. Wird das Mikrobiom durch ständige Reinigungsprozesse und eine bewusst ballaststoffarme Ernährung während des Heilfastens massiv geschwächt, kann es seine natürliche Entgiftungsfunktion nicht wahrnehmen.
Zudem werden vor allem fettlösliche Toxine aus dem Fettgewebe erst dann freigesetzt, wenn die Pfunde im Rahmen einer Fastenkur schmelzen. Das konnten koreanische Wissenschaftler feststellen. Sie analysierten Blutproben von 1099 Studienteilnehmern, die Fastenkuren oder Diäten durchführten und brachten die Schadstoffkonzentrationen in deren Serum in Zusammenhang mit dem Gewichtsverlust. Tatsächlich stiegen die Werte für fettlösliche Giftstoffe während des Fastens und auch in den folgenden Monaten an. Toxine wie Weichmacher und Dioxine werden zwar nach und nach über Leber und Darm ausgeschieden, wissenschaftlich ließ sich in Studien aber nicht nachweisen, dass Abführmaßnahmen die Ausscheidung von Giften verbessern könnten. Die im Fett gespeicherte Giftstoffe beginnen sich erst mit einem größeren Gewichtsverlust zu lösen und lassen sich dann nach und nach im Blut und erst sehr viel später auch im Darm nachweisen. Daher ist Abführen VOR bzw. während des Fastens sowieso völlig unsinnig, denn da befinden sich die Toxine noch im Fett. Abführen bringt auch später keinerlei Vorteile, sondern behindert den Abbau der Giftstoffe wahrscheinlich sogar.
Beim Fasten geht es in erster Linie nicht ums Entgiften, sondern um zahlreiche andere, wissenschaftlich nachgewiesene Effekte für unsere Gesundheit.
sanego: Welche gesundheitlichen Vorteile von Fasten sehen Sie als besonders relevant für die heutige Zeit?
Michaela Axt-Gadermann: Naheliegend sind günstige Effekte auf Blutzucker- und Insulinspiegel, HbA1c, Blutfettwerte und, mit Einschränkungen, auch Gewicht. Beim Fasten sinken Entzündungswerte und Marker für oxidativen Stress. Der Nahrungsverzicht wirkt sich zudem günstig auf Alterungsprozesse aus und scheint bei regelmäßigem Fasten eine lebensverlängernde Wirkung zu haben. Das legen Untersuchungen unter anderem im Rahmen der „Wisconsin Calorie Restriction Study“ an Rhesusaffen, aber auch Humanstudien nahe. Gut belegt ist zudem die Aktivierung zellulärer Reparaturprozesse, der so genannten „Autophagie“ sowie günstige Auswirkungen auf die geistige Leistungsfähigkeit. Einige Studien scheinen sogar darauf hinzudeuten, dass Kurzzeitfasten selbst eine Chemotherapie verträglicher machen könnte.
Ebenso sorgt Fasten OHNE vorherige Darmreinigung für eine Zunahme der Artenvielfalt des Mikrobioms. Im Idealfall „füttert“ man das Mikrobiom während des Fastens mit präbiotischen Ballaststoffen, was wir auch beim Mikrobiomfasten so machen. Das bekommt den Teilnehmern tatsächlich sehr gut und regt die Bildung von Sättigungshormonen während des Nahrungsverzichts an.
Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann
Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann ist Ernährungs- und Sportmedizinerin, Dermatologin und Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg. Dort erforscht sie unter anderem die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Darmmikrobiom, Hautmikrobiom und Gesundheit. Auf der wissenschaftlichen Grundlage des „Fasten Codes“ hat sie ein neuartiges Fastenkonzept zum „Mikrobiom-Fasten“ entwickelt, das in Fastenkliniken und Kurhotels angeboten wird.
2018 hat sie das lizensierte Online-Ernährungscoaching „Gesund mit Darm“ entwickelt, das von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst wird. Im Südwest Verlag sind zahlreiche Bücher von ihr zum Thema Mikrobiom erschienen, viele davon Bestseller, unter anderem „Der Abnehmkompass“, „Gesund mit Darm", "Schlank mit Darm" oder "Mikrobiomanalyse".
Mehr Informationen zum Thema „Fasten und Mikrobiom“ finden Sie auch auf den Internetseiten www.mikrobiom-fasten.de und www.gesund-mit-darm.de.
sanego: Fasten bringt, wie wir nun wissen, einige gesundheitliche Vorteile mit sich. Dennoch wird manchen Menschen auch davon abgeraten. Können Sie uns einen kleinen Einblick geben, wem Sie von (regelmäßigem) Fasten abraten würden?
Michaela Axt-Gadermann: Personen mit erhöhten Harnsäurewerten sollten nicht oder nur unter ärztlicher Betreuung fasten. Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüren oder Magenschleimhautentzündungen müssen Fastende genau beobachten, wie ihr Körper reagiert. Studien berichten, dass diese Personengruppen oft nicht vom Fasten profitieren, sondern sich die Symptome sogar deutlich verschlechtern können. Das gilt nicht nur für längere Heilfastenphasen, sondern auch für das kurze Intervallfasten im Alltag. Ebenso ist bei bekannten Essstörungen eine Fastenkur nicht empfehlenswert.
Beachtet werden sollte auch das Immunsystem, denn anders als häufig behauptet, stärkt eine Heilfastenkur zunächst nicht das Immunsystem. Verzicht auf Nahrung löst im Körper erst mal starke Stressreaktionen aus, die sich unter anderem am Anstieg des Stresshormons Cortisol während des Fastens nachweisen lassen. Die Zahl der Monozyten im Blut sinkt und auch Entzündungen gehen während des Fastens vorübergehend zurück. Gleichzeitig fehlen aber Immunzellen, um Krankheitserreger abzuwehren. Während und in den Wochen nach einer Heilfastenkur ist deshalb das Infektionsrisiko nachweislich erhöht. Vor und nach dem Fasten sollte deshalb ein mindestens 14-tägiger Abstand zu Impfungen eingehalten werden, um den Impferfolg nicht zu gefährden. Das gilt allerdings nur für längere Heilfastenkuren, nicht für das gelegentliche Intervallfasten.
sanego: Sie schreiben auch über die Rolle der Achtsamkeit beim Fasten. Welche Bedeutung hat Achtsamkeit in Ihrem neuen Fastenkonzept?
Michaela Axt-Gadermann: Fasten stellt meistens eine Auszeit aus dem hektischen Alltag dar. Das ist eine gute Gelegenheit, um sich und seine Umwelt bewusster wahrzunehmen, achtsam zu essen und zu trinken, Zeit für Entspannung und Bewegung einzuplanen. Das Leben im Hier und Jetzt geht in der täglichen Betriebsamkeit oft unter. Der Verzicht auf Nahrung lässt sich auch gut kombinieren mit dem Verzicht auf soziale Medien, Handy oder Fernsehen. Fastenkuren bieten deshalb eine gute Gelegenheit, achtsamen Umgang mit sich selbst und seiner Umgebung zu trainieren und vielleicht den einen oder anderen Impuls mit zurück in den Alltag zu nehmen.
sanego: Wenn Sie unseren Lesern und Leserinnen einen kurzen Rat für den Einstieg in das Fasten geben könnten, welcher wäre das?
Michaela Axt-Gadermann: Fasten ist eine hervorragende Maßnahme der Gesundheitsförderung. Man sollte beim Heilfasten aber nicht die Augen vor modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen verschließen. Bei dem von mir entwickelten Mikrobiomfasten werden diese Erkenntnisse mit einbezogen:
Verzicht auf jede Art der Darmreinigung
Trinken von Kaffee wird explizit empfohlen
Zufuhr präbiotischer Ballaststoffe und probiotischer Bakterien
pflanzliche Öle zur Anregung von Sättigungshormonen
zusätzlich bestimmte Nahrungsmittel als Fastenimitatoren zur Verstärkung der Effekte auf Autophagie und mTOR
tägliche Bewegung
Mit diesen Maßnahmen fällt der Nahrungsverzicht, unseren Erfahrungen nach, nicht nur sehr viel leichter, sondern Fastenkrisen bleiben aus und auch die Fastenprozesse werden gefördert.
Längere Fastenkuren erfordern meistens etwas Planung und Vorbereitung. Ganz unproblematisch und oft auch spontan lässt sich Intervallfasten in den Alltag einbauen. Auch mit regelmäßigen Intervallfastentagen lassen sich nachweisbare Effekte auf die Gesundheit erzielen.