Typische Symptome der Wechseljahre sind Hitzewallungen und ein unregelmäßiger Zyklus, aber auch Stimmungsschwankungen, Vergesslichkeit und Schlafprobleme. Denn während der Menopause verändert sich auch das Gehirn, so Neurowissenschaftlerin Dr. Lisa Mosconi. Was Frauen in den Wechseljahren erwartet und wie sie damit umgehen können, hat sie in ihrem Buch „Das Gehirn in der Menopause“ zusammengetragen. Doch welchen Einfluss hat die Menopause auf das Gehirn? Antworten auf diese Frage gibt sie in unserem Interview.
Was passiert mit dem Gehirn in den Wechseljahren
sanego: Das Gehirn ist im Zentrum der Wechseljahre – warum eigentlich?
Dr. Lisa Mosconi: Die Wechseljahre sind nicht nur ein reproduktiver Übergang – sie stellen auch eine neurologische Umstellung dar. Das Gehirn ist das Steuerzentrum des Fortpflanzungssystems und der Ursprungsort vieler typischer Wechseljahresbeschwerden. Hitzewallungen, Brainfog, nächtliches Schwitzen, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen – all das sind neurologische Symptome, nicht nur hormonelle. Tatsächlich sind sogenannte Sexualhormone wie Östrogen und Progesteron auch Gehirnhormone. Besonders Östradiol – eine Form des Östrogens – spielt eine Schlüsselrolle für die Gehirngesundheit von Frauen. Es beeinflusst Gedächtnis, Stimmung, Temperaturregulation und sogar die Energieverwertung im Gehirn. Wenn der Östrogenspiegel in den Wechseljahren sinkt, muss sich das Gehirn neu justieren. Daher fühlen sich viele Frauen in dieser Zeit „neben der Spur“ – und das ist nicht eingebildet, sondern tatsächlich im Gehirn verankert.
sanego: Welche Symptome nehmen Frauen im Zusammenhang mit den Veränderungen im Gehirn während der Wechseljahre wahr?
Dr. Lisa Mosconi: Am häufigsten treten kognitive und stimmungsbezogene Symptome auf:
Brainfog: Konzentrationsstörungen oder „vernebeltes“ Denken
Gedächtnislücken: Schwierigkeiten, sich an Namen, Termine oder Gespräche zu erinnern
Stimmungsschwankungen: Reizbarkeit, Angstgefühle oder Traurigkeit
Schlafprobleme: Ein- und Durchschlafstörungen mit daraus folgender Erschöpfung
Diese Symptome können verunsichern – besonders, wenn sie unerwartet auftreten. Zu wissen, dass sie biologisch bedingt sind und keine persönliche Schwäche oder schlicht „Alter“ darstellen, kann entlastend und stärkend wirken.
Wie können Frauen mit den Veränderungen umgehen
sanego: Wie können Frauen mit Brainfog und Gedächtnisproblemen umgehen, ohne sich verrückt zu fühlen?
Dr. Lisa Mosconi: Der wichtigste Schritt: zu wissen, dass sie nicht verrückt sind. Kognitive Veränderungen sind während der Wechseljahre häufig – und für viele Frauen vorübergehend. Auch wenn sie beängstigend wirken, sind sie in der Regel kein Anzeichen für einen geistigen Abbau, sondern Ausdruck der hormonellen Umstellung im Gehirn.
Mehrere wissenschaftlich fundierte Maßnahmen können helfen:
Regelmäßige Bewegung fördert die Durchblutung des Gehirns und unterstützt kognitive Funktionen.
Mentale Aktivität – z. B. Lesen, Rätsel lösen, eine Sprache lernen oder kreativ sein – hält das Gehirn flexibel.
Guter Schlaf und Stressabbau sind essenziell, da Schlafmangel und Dauerstress die Symptome verstärken können.
Bei sehr starken oder langanhaltenden Beschwerden sollte ärztliche Unterstützung eingeholt werden. Derzeit werden sowohl hormonelle als auch nicht-hormonelle Therapien zur Linderung kognitiver Wechseljahresbeschwerden erforscht. Fachgesellschaften empfehlen Hormontherapie insbesondere für Frauen mit frühzeitigem oder operativ bedingtem Beginn der Wechseljahre (z. B. nach einer Eierstockentfernung).
Keine Frau sollte still leiden oder sich nicht ernst genommen fühlen – diese Symptome sind real, biologisch bedingt und behandelbar.
Das sollten Sie während der Wechseljahre für Ihr Gehirn tun
sanego: Was sind die drei wichtigsten Maßnahmen, die jede Frau während der Wechseljahre für ihr Gehirn tun sollte?
Dr. Lisa Mosconi: Die wirkungsvollste Maßnahme ist Bewegung. Regelmäßige körperliche Aktivität verbessert die Durchblutung des Gehirns, unterstützt Gedächtnis und Denkprozesse und stabilisiert die Stimmung. Ebenso wichtig: Schlaf priorisieren – denn in der Nacht regeneriert und reorganisiert sich das Gehirn. Und: Stress gezielt abbauen, um kognitive und emotionale Symptome nicht zusätzlich zu verstärken.
Diese drei Grundlagen stärken die Widerstandskraft des Gehirns. Darüber hinaus kann ein Gespräch mit Fachärzten und Fachärztinnen sinnvoll sein – zur Klärung, ob hormonelle oder nicht-hormonelle Optionen zur individuellen Gesundheit, Risikolage und Lebensphase passen. Besonders Frauen mit früher oder operativ bedingter Menopause können von Hormontherapie profitieren. Es gibt keinen einheitlichen Weg durch die Wechseljahre – aber viele evidenzbasierte Möglichkeiten, um das Gehirn gezielt zu unterstützen.
Hormontherapie in den Wechseljahren
sanego: Viele Frauen lehnen Hormone ab. Wie sieht moderne Hormontherapie heute aus und was sind ihre Vor- und Nachteile?
Dr. Lisa Mosconi: Die heutige menopausale Hormontherapie (MHT) ist sicherer und individueller als frühere Formen. Moderne Präparate – etwa transdermale Pflaster oder bioidentische (mikronisierte) Östrogene und Progesterone – gelten als besser verträglich und risikoärmer.
Aktuelle Leitlinien (z. B. von der North American Menopause Society oder der Endocrine Society) befürworten Hormontherapie bei gesunden Frauen unter 60 Jahren oder innerhalb von zehn Jahren nach Einsetzen der Menopause – insbesondere bei mittelschweren bis schweren Beschwerden. Bei richtiger Anwendung kann sie Hitzewallungen, Schlafstörungen und leichte depressive Symptome lindern. Bei Frauen mit frühzeitiger oder operativ bedingter Menopause kann sie zudem das Risiko für Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und kognitive Beeinträchtigungen senken.
Kontraindikationen bestehen u. a. bei hormonabhängigen Krebserkrankungen (z. B. Brust- oder Gebärmutterkrebs), unbehandelten Lebererkrankungen, Schlaganfall, Herzinfarkt oder Thrombosen in der Vorgeschichte sowie ungeklärten vaginalen Blutungen.
Wichtig ist eine individuelle Beratung durch geschulte Fachkräfte, die persönliche Risiken abwägen und passende Therapieoptionen aufzeigen. Es gibt keine pauschale Lösung, aber sichere und wirksame Möglichkeiten für Frauen, die eine Behandlung wünschen.
sanego: Können auch natürliche Mittel in den Wechseljahren helfen?
Dr. Lisa Mosconi: Viele Frauen bevorzugen nicht-hormonelle oder pflanzliche Alternativen. Die wissenschaftliche Evidenz ist unterschiedlich, doch dazu zählen z. B. Traubensilberkerze, Rotklee, Phytoöstrogene oder sogenannte Nutrazeutika wie PhytoSERM, das selektiv im Gehirn östrogenähnlich wirkt. Auch ganzheitliche Methoden wie Yoga, Achtsamkeit oder Akupunktur können das Wohlbefinden unterstützen.
Lebensstil, Selbstfürsorge und Glück in den Wechseljahren
sanego: Warum sind Lebensstil und Selbstfürsorge in den Wechseljahren so wichtig?
Dr. Lisa Mosconi: Die Forschung ist eindeutig: Was wir täglich tun – wie wir uns bewegen, ernähren, schlafen und mit Stress umgehen – beeinflusst die Gehirngesundheit messbar. Laut der Lancet Commission und der Alzheimer’s Association lassen sich bis zu 40 % des Demenzrisikos allein durch Lebensstilfaktoren beeinflussen. Diese Gewohnheiten helfen also nicht nur im Moment, sondern fördern langfristig die kognitive Gesundheit. Lebensstil ist kein Ersatz für Medizin – sondern ein essenzieller Bestandteil davon.
sanego: Sie schreiben: „Die meisten Frauen sind nach den Wechseljahren glücklicher als vorher.“ Warum, glauben Sie, ist das so?
Dr. Lisa Mosconi: Das ist nicht nur meine Meinung – das zeigen auch Studien. Zwar ist die Forschung begrenzt, doch einige Untersuchungen belegen, dass Frauen nach den Wechseljahren im Schnitt weniger depressive Symptome und ein größeres emotionales Wohlbefinden erleben als während des Übergangs. Viele berichten von neuer Klarheit, mehr Selbstbewusstsein und Fokus.
Eine Studie in Maturitas zeigte beispielsweise, dass negative Stimmung und depressive Symptome bei Frauen im Alter von 50 bis 70 Jahren über einen Zeitraum von 20 Jahren deutlich zurückgingen. Andere Forschungen deuten auf eine steigende Lebenszufriedenheit hin.
Es scheint, als würden viele Frauen, wenn sie von hormonellen Schwankungen und belastenden Familienpflichten entlastet sind, wieder mehr zu sich selbst finden – und diese Rückbesinnung kann befreiend wirken. Auch das Gehirn passt sich der neuen, nicht mehr reproduktiven Lebensphase an – die aber oft sehr produktiv bleibt.