Die pflanzenbasierte Ernährung wird oft als der Schlüssel zu einem gesünderen, nachhaltigeren Lebensstil dargestellt. Sie reicht vom veganen und vegetarischen Ansatz bis hin zu flexibleren Formen, bei denen pflanzliche Nahrungsmittel den Großteil der Ernährung ausmachen. Doch was steckt wirklich hinter diesem Trend? Ist pflanzenbasiert automatisch gesünder, und wie viel davon sind vielleicht nur Mythen? Ernährungswissenschaftler und Autor Malte Rubach nimmt einige dieser Irrtümer in seinem Buch "Die größten Plant-Based Ernährungsmythen" genauer unter die Lupe. Im Interview mit uns spricht er über einige seiner Erkenntnisse und erklärt, worauf es wirklich ankommt, wenn Sie eine fundierte Entscheidung für eine pflanzenbasierte Ernährung treffen möchten.
sanego: In Ihrem Buch "Die größten Plant-Based Ernährungsmythen” untersuchen Sie 30 Ernährungsmythen rund um pflanzenbasierte Ernährung. Welcher dieser Mythen hat Sie dabei am meisten überrascht?
Malte Rubach: Plant-based, also auf Deutsch pflanzenbasiert, ist ein ziemlich weitgefasster Begriff, der aber von unterschiedlichen Akteuren verwendet wird, oft auch je nach gewünschter Botschaft. Es kann vegan, also 100% pflanzliche Ernährung, vegetarisch, ohne Fleisch, oder eben einfach überwiegend pflanzlich bedeuten. Überraschend war dann bei Sichtung der Daten zu sehen, dass wir uns alle ohnehin schon pflanzenbasiert ernähren, nämlich laut Versorgungsbilanz der Welternährungsorganisation zu rund zwei Dritteln. Der Gesundheits-Hype um plant-based Lebensmittel, die oft hochverarbeitet sind, vegane Ernährung und Lifestyle wirkt daher etwas aufgesetzt und verspricht mehr als wirklich dahintersteckt.
sanego: Viele Menschen glauben, dass pflanzenbasierte Ernährung automatisch gesünder ist. Können Sie ein Beispiel für ein Lebensmittel nennen, bei dem dieser Ansatz falsch ist?
Malte Rubach: Grundsätzlich gibt es keine Lebensmittel, die an sich ungesund sind, sondern es ist immer eine Frage der Dosis. Aber es ist ohne Frage so, dass hochverarbeitete Lebensmittel, die Fleisch oder Milch und Milchprodukte imitieren sollen, kaum mehr oder weniger Gesundheitswert besitzen als andere hochverarbeitete Lebensmittel, obwohl sie als gesunde Alternative zu echtem Fleisch oder Kuhmilch beworben werden. Fakt ist, es wäre sinnvoller, direkt die Erbsen, die Bohnen oder die Haferflocken zu essen, von denen nur ein kleiner Teil, nämlich das Protein, zur Herstellung der Imitate verwendet wird. Sie enthalten auch noch deutlich mehr gute Nährstoffe außer dem Protein. Wichtig sind auch Allergene, denn nur weil irgendwo ein Vegan-Lable drauf ist, heißt es eben nicht, dass es automatisch gut für die Gesundheit wäre. Das gilt selbstverständlich auch für tierische Allergene. Kurz gesagt, möglichst frische und gering verarbeite Lebensmittel sind bei jeder Ernährungsweise die beste Wahl und auch die gesündeste.
sanego: Ein immer wieder diskutiertes Thema ist die Rolle von Soja. Welche Erkenntnisse haben Sie in Bezug auf Soja und dessen Wirkung auf die Gesundheit, speziell die Schilddrüse und den Hormonhaushalt, finden können?
Malte Rubach: Am Beispiel Soja sieht man gut, wie auch an sich hochwertige pflanzliche Lebensmittel Opfer von Lebensmittel-Bashing werden können, wie es sonst umgekehrt mit Fleisch und Milch häufiger der Fall ist. Soja ist eine hochwertige Eiweißquelle und kann auch mit Mikronährstoffen wie Eisen aufwarten. Auch wenn dieses nicht so gut in den Körper aufgenommen werden kann, so ist Soja gerade für Menschen, die komplett auf tierische Lebensmittel verzichten, eine hervorragende Nährstoffquelle. Hier wird dann oftmals unnötig Angst davor geschürt, dass hormonähnliche Inhaltsstoffe von Soja das Risiko für bestimmte Krebsarten steigert. Risikobewertungen dazu zeigen, dass dies allenfalls denkbar ist, wenn man sich ausschließlich von Soja ernähren würde und dazu noch aufkonzentriertes Pulver ergänzt.
Im Rahmen einer ausgewogenen pflanzlichen Ernährung ist Soja wie auch andere Hülsenfrüchte allerdings unbedingt zu empfehlen. Was die Schilddrüse betrifft, ist bei rein oder stark pflanzlicher Ernährung nicht Soja für mögliche Probleme verantwortlich, sondern generell eine zu geringe Jodzufuhr, weil Jod auch durch Milch und Milchprodukte als eine Hauptquelle aufgenommen wird. Das ist dann aber eher ein Thema für vegane Ernährung, da Vegetarier noch Milch und Eier konsumieren.
Dr. Malte Rubach
Der Ernährungswissenschaftler, Referent und Buchautor beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit den Themen Ernährung, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Innovation. Die Aufklärung von Ernährungs-Mythen ist ihm eine Herzensangelegenheit. Aktuell ist sein Buch „Die größten plant-based Ernährungs-Mythen — Warum Veganer nicht immer recht haben, aber manchmal eben doch“ bei Droemer Knaur erschienen.
sanego: Sie hinterfragen in Ihrem Buch, ob pflanzenbasierte Ernährung vor Krankheiten wie Krebs oder Diabetes schützt. Können Sie uns hierzu einen kleinen Einblick in Ihre gewonnenen Erkenntnisse geben?
Malte Rubach: Oft werden in Ernährungsratgebern und einschlägigen Medienbeiträgen Zusammenhänge zwischen einzelnen Lebensmitteln und einer Erkrankung wie Krebs, Herzkreislauferkrankungen oder Diabetes hergestellt. Diese sind aber kaum auf einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Lebensmittel an sich zurückzuführen, sondern auf den gesamten Lebensstil. Man spricht hier in der Wissenschaft vom „healthy user bias“. Das bedeutet folgendes: besonders gesundheitsbewusste Menschen, die sich zufällig oder manchmal sogar sehr für die Teilnahme an Ernährungsstudien interessieren, folgen ebenfalls einer bewussten Ernährungsweise. Es ist nicht schwer zu erraten, dass Menschen, die sich vegan oder vegetarisch ernähren, oftmals auch in anderen Lebensbereichen einen bewussteren und damit gesünderen Lebensstil verfolgen als der Durchschnitt der Bevölkerung.
Wenn die Daten bereinigt werden, sieht man daher, dass ein Haupteinflussfaktor für die genannten Erkrankungsrisiken das (starke) Übergewicht ist. Da in Deutschland über die Hälfte der Bevölkerung davon betroffen ist, vermitteln viele Studien auf den ersten Blick den Eindruck, vegane oder vegetarische Ernährung seien viel gesünder als eine omnivore Ernährung. Berücksichtigt man den Faktor Übergewicht sind die Unterschiede meist nicht mehr statistisch signifikant. Übrigens zeigen sogenannte Klosterstudien, dass dort die Lebenserwartung über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt. Ein bewusster Lebenswandel scheint als bedeutender zu sein als die Frage nach dem Konsum tierischer Lebensmittel.
sanego: Inwiefern sehen Sie eine Gefahr, dass der Trend zur pflanzenbasierten Ernährung Essstörungen begünstigen könnte?
Malte Rubach: Diese Gefahr ist unbegründet, da wir ja bereits eine pflanzenbasierte Ernährung verfolgen und es keine Anzeichen für massenweisen Anstieg von Essstörungen gibt. Worauf allerdings hingewiesen werden muss, ist, dass jede Form der Ernährung, die extreme Vorgaben macht, ein höheres Risiko in sich birgt, die Entwicklung einer Essstörung zu fördern. Bei pflanzenbasierter Ernährung ist das sicher bei veganer Ernährung und noch mehr bei veganer Rohkost-Ernährung der Fall. Menschen, die ohnehin schon in einem Spannungsverhältnis zur Ernährung stehen, können sich in solchen Ernährungsmustern mit strengen Vorgaben und einer gewissen Bestätigung wiederfinden und es dann in einem Extrem ausarten lassen. Das gilt aber für sämtliche Ernährungsweisen, die mit starken Einschränkungen einhergehen, weshalb Essstörungen laut Studien selten durch vegane oder vegetarische Ernährung ausgelöst werden.
sanego: Haben Sie zu guter Letzt einen praktischen Tipp, damit wir fundierte Ernährungsentscheidungen treffen können, ohne auf populäre Mythen hereinzufallen?
Malte Rubach: Ja, es gibt einige einfache Regeln in der heutigen Zeit. Wer Ratschläge gibt, sollte Fachkompetenz besitzen. Das schließt bereits eine große Zahl der in Medien und sozialen Medien auftretenden selbsternannten Ernährungsexperten aus. Damit ist es aber nicht getan, denn auch eine Ausbildung, Studium oder Dr.-Titel bedeuten nicht automatisch neutralen Rat ohne ganz andere Interessen.
Daher sollten Sie bei gleichzeitiger Produktwerbung besonders kritisch sein, was auch für den Verkauf von ideologischen Botschaften jeder Art gilt. Wer grundsätzlich Lebensmittel von der Ernährung ausschließen will, hat meist ein übergeordnetes Interesse, das können auch ethische Belange wie Tierrechte sein. Also möglichst sachliche Informationen von einer fachlich kompetenten Person und ideologiefreie Vermittlung helfen gegen Ernährungs-Mythen. Anschließend kann jeder und jede selbst entscheiden, welche Ernährungsweise für den eigenen Körper und das eigene Weltbild infrage kommt.