Ob proteinreiche Rezepte, „high-protein“ Produkte im Supermarkt oder Proteinpulver – Proteine begegnen uns gerade überall, wenn es um gesunde Ernährung geht. Doch welche Tipps stimmen eigentlich und was ist nur gutes Marketing?
Ernährungswissenschaftlerin Dr. Angela Bechthold hat das für Ihr neues Buch „Proteine und Aminosäuren - Welche, wie viel, woher für Muskelaufbau, Vitalität und erfolgreiches Abnehmen“ genauer recherchiert. In unserem Interview beantwortet sie die wichtigsten Fragen zu Proteinbedarf, proteinreichen Lebensmitteln und welche Behauptungen zu Proteinen wissenschaftlich nicht haltbar sind.
sanego: Proteine sind gerade das Thema in Sachen Ernährung. Doch was sind Proteine eigentlich?
Dr. Angela Bechthold: Proteine sind unverzichtbare Nährstoffe. Umgangssprachlich sagen wir auch Eiweiß dazu. Neben Fetten und Kohlenhydraten gehören Proteine zu den Hauptnährstoffen. Aus den Hauptnährstoffen kann unser Körper Energie gewinnen. Allerdings nutzt er Proteine weniger als Energiequelle, sondern hauptsächlich als Baustein seiner Gewebe, also etwa von Muskeln, Knochen, Haut und Haaren und für fast alle seine Funktionen. So ermöglichen bestimmte Proteine zum Beispiel biochemische Reaktionen im Stoffwechsel, andere transportieren Stoffe oder übermitteln Signale von einer Zelle zur anderen. Auch die Antikörper unseres Immunsystems sind Proteine.
sanego: Welche Rolle spielen dabei Aminosäuren?
Dr. Angela Bechthold: Die Aminosäuren sind die Einzelbausteine der Proteine. In einem Proteinmolekül sind viele einzelne Aminosäuren miteinander verknüpft – je nach Protein können das ein paar Dutzend oder auch zehntausende Aminosäuren sein. Die Aminosäuren, die Proteinbausteine sind, nennt man proteinogene Aminosäuren. Daneben gibt es auch nichtproteinogene Aminosäuren, die keine Proteine aufbauen, aber andere Zwecke erfüllen. Aminosäuren wirken in unserem Körper selbst auch als Botenstoffe, sie dienen als Ausgangsstoffe für andere Stoffwechselprodukte und liefern lebenswichtigen Stickstoff.
sanego: Auf Social Media liest man manchmal „Der Körper braucht keine Proteine, sondern nur Aminosäuren.“ Wie treffend ist diese Aussage?
Dr. Angela Bechthold: Richtig ist, dass der Proteinbedarf im Grunde genommen ein Bedarf an Aminosäuren ist. Denn alle Auf- und Abbauprozesse des Proteinstoffwechsels in unserem Körper beginnen und enden immer mit freien Aminosäuren. Da die Aminosäuren in Lebensmitteln aber praktisch vollständig in Form von Proteinen vorliegen, spricht man von Proteinbedarf. Das heißt, es ist lebensnotwendig, Proteine zu essen, weil wir durch sie unseren Bedarf an unentbehrlichen Aminosäuren decken. Treffender ist also die Aussage: „Der Körper braucht Proteine als Lieferanten von Aminosäuren“.
ist Ernährungswissenschaftlerin und als freie Wissenschaftsjournalistin tätig. Sie sammelte zuvor nicht nur Erfahrung in der Verlagswelt und Redaktion, sondern war auch bei einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft und im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft tätig.
Zudem ist Dr. Angela Bechthold Autorin von Büchern, die Ernährungswissen für eine breites Publikum zugänglich machen: Bücher von Dr. Angela Bechthold.
So können Sie einen Proteinmangel erkennen
sanego: Wie gut sind wir denn allgemein mit Proteinen versorgt? Gibt es hier in Deutschland einen großen Mangel oder reicht die übliche Ernährung in der Regel aus?
Dr. Angela Bechthold: Mit der üblichen Ernährung sind die meisten Menschen im Allgemeinen ausreichend versorgt. Laut der letzten Nationalen Verzehrsstudie essen die Menschen in Deutschland im Schnitt sogar mehr Proteine als nötig. Bei Männern waren es 1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht, bei Frauen 1,0 Gramm – empfohlen sind 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Die Studie ist allerdings schon 20 Jahre alt. Aktuellere repräsentative Daten gibt es bislang leider nicht. Es gibt aber Hinweise, dass unter den älteren Menschen viele sind, die die empfohlene Zufuhr von 1,0 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht nicht erreichen.
sanego: Welche Zeichen deuten auf einen Proteinmangel hin?
Dr. Angela Bechthold: Bei einer zu niedrigen Proteinzufuhr senkt der Körper zunächst die Ausscheidung von Stickstoff und nutzt seine körpereigenen Proteine aus der Muskulatur. Das heißt, er baut Muskeln ab. Dadurch gehen Muskelmasse und -kraft verloren. Besonders bei älteren Menschen erhöht das das Risiko für Gebrechlichkeit und Stürze. Hält der Proteinmangel und damit der Mangel an unentbehrlichen Aminosäuren an, werden wichtige Stoffwechselfunktionen beeinträchtigt. Zum Beispiel wird das Immunsystem geschwächt, die Wundheilung verlangsamt und es kann zu Ödemen kommen. Im Extremfall führt ein Proteinmangel zu lebensgefährlichem Organversagen. Ein schwerer Proteinmangel tritt hierzulande aber nur als Folge schwerer Krankheiten oder bei starker allgemeiner Mangelernährung im Alter auf.
Ihr Proteinbedarf – das sollten Sie beachten
sanego: Wie hoch ist der „Grundbedarf“ von Protein am Tag?
Dr. Angela Bechthold: Es müssen täglich mindestens so viele Proteine sein, dass sie den für unseren Körper unvermeidbaren Verlust an Stickstoff ausgleichen. Dafür sind etwa 25 Gramm Proteine pro Tag nötig. Gleichzeitig müssen es genug Proteine sein, um den Bedarf an allen unentbehrlichen Aminosäuren zu decken. Weil unser Körper die Proteine aus dem Essen nicht zu 100 Prozent nutzen kann, ist die empfohlene Zufuhr an Proteinen höher als der genannte minimale Bedarf. Für gesunde Erwachsene empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) eine tägliche Zufuhr von 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Das entspricht einer absoluten Menge von 55 bis 57 Gramm Proteinen für Männer und 47 bis 48 Gramm Proteinen für Frauen. Für Menschen ab 65 Jahren empfiehlt sie eine etwas höhere Zufuhr von 1,0 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag, um dem altersbedingten Muskelabbau entgegenzuwirken. Das entspricht pro Tag 67 Gramm Proteine für Männer und 57 Gramm für Frauen.
sanego: Kann sich der Proteinbedarf im Laufe des Lebens verändern?
Dr. Angela Bechthold: Ja, bestimmte Lebensphasen erfordern eine höhere oder eine niedrigere Zufuhr. Wie bereits erwähnt brauchen Ältere eine höhere Zufuhr, um dem altersbedingten Muskelabbau entgegenzuwirken. Auch in Wachstumsphasen benötigt ein Mensch mehr Protein. Denn im Wachstum läuft der körpereigene Proteinaufbau auf Hochtouren. Das heißt, Babys, Kinder und Jugendliche haben bezogen auf das Körpergewicht einen deutlich höheren Bedarf im Vergleich zu Erwachsenen. Auch Schwangere und Stillende brauchen eine höhere Proteinzufuhr, sogar bis zu etwa 70 Gramm pro Tag. Außerdem können Krankheiten den Bedarf an Proteinen beziehungsweise Aminosäuren erhöhen oder auch erniedrigen.
sanego: Verändert sich der Bedarf bei Menschen, die sportlich aktiv sind?
Dr. Angela Bechthold: Das hängt davon ab, wie intensiv jemand sportlich aktiv ist. Solange man keinen Spitzensport betreibt oder täglich für einen Marathon trainiert, braucht man keine erhöhte Proteinzufuhr. Wer sich abwechslungsreich ernährt und dabei den Energiebedarf deckt, nimmt auch bei sportlich aktiver Lebensweise genug Proteine auf. Anders sieht es aus, wenn jemand mehr als 5 Stunden pro Woche intensiv Sport treibt. Das heißt, für Leistungssportler:innen und sehr ambitionierte Freizeitsportler:innen kann eine höhere Proteinzufuhr sinnvoll sein. Die Empfehlung liegt hier in der Größenordnung von etwa 1,2 bis 2,0 Gramm pro Kilogramm pro Tag. Auch diese höhere Proteinzufuhr kann und sollte mit den Mahlzeiten über den Tag verteilt erfolgen, und nicht über Nahrungsergänzungsmittel.
Protein aufnehmen – Das sollten Sie beachten
sanego: Kann ich auch zu viel Protein zu mir nehmen?
Dr. Angela Bechthold: Wenn Sie mehr Proteine beziehungsweise Aminosäuren essen als Ihr Körper für den Aufbau von Proteinen und anderen stickstoffhaltigen Molekülen benötigt, dann verbrennt er Aminosäuren und gewinnt daraus Energie. Essen Sie insgesamt zu viel, nehmen Sie langfristig zu.
Den beim Abbau der Aminosäuren freigesetzten Stickstoff muss Ihr Körper als Harnstoff über die Nieren ausscheiden. Das bedeutet: Bei einer dauerhaft über dem Bedarf liegenden Proteinzufuhr müssen die Nieren mehr leisten, wodurch sie langfristig größer werden und Störungen ihrer Funktion nicht auszuschließen sind. Aber ob das bei Menschen mit intaktem Stoffwechsel tatsächlich gesundheitliche Nachteile hat, ist unklar. Mangels wissenschaftlicher Daten gibt es keine festgelegte Höchstmenge für eine sichere Proteinzufuhr. Aufgrund von Beobachtungen gehen Fachleute derzeit davon aus, dass auch das Drei- bis Vierfache der empfohlenen Menge bei Erwachsenen keine unerwünschten Symptome auslöst.
sanego: Sollte ich Proteine zu einem bestimmten Zeitpunkt zu mir nehmen?
Dr. Angela Bechthold: Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proteinhaltige Lebensmittel über den Tag verteilt als Bestandteil jeder Mahlzeit zu sich zu nehmen. Das kann den Muskelaufbau und -erhalt optimal unterstützen. Interessant ist dabei auch: Ab einer Menge von etwa 30 Gramm Proteinen in einer Mahlzeit kann der Körper die Aminosäuren gar nicht mehr effektiv für seinen Proteinaufbau nutzen – er verbrennt sie dann zunehmend.
sanego: Braucht es spezielle „high protein“ Produkte oder kann ich meinen Proteinbedarf auch über andere Lebensmittel decken?
Dr. Angela Bechthold: Wer in seiner Lebensmittelauswahl nicht eingeschränkt ist, kann mit den herkömmlichen Lebensmitteln seinen Proteinbedarf decken und braucht keine speziellen Produkte.
Protein ohne tierischen Ursprung
sanego: Kann ich meinen Proteinbedarf auch über pflanzliche Lebensmittel decken?
Dr. Angela Bechthold: Ja, auch pflanzliche Lebensmittel liefern Proteine. Wer sich abwechslungsreich und ausgewogen vegan ernährt, kann seinen Proteinbedarf decken.
sanego: Welche veganen Proteinquellen sind hier besonders wichtig?
Dr. Angela Bechthold: Besonders gute pflanzliche Proteinquellen sind Hülsenfrüchte, also zum Beispiel Sojabohnen und andere Bohnen, Linsen, Erbsen, Lupinen, Erdnüsse sowie Produkte daraus wie Tofu oder Tempeh. Daneben sind Getreideprodukte wie Haferflocken, Couscous, Brot, Reis oder Seitan (Weizeneiweiß) und Pseudogetreide wie Amaranth und Buchweizen gute Proteinquellen. Besonders wichtig sind auch verschiedene Nüsse und Mandeln sowie Ölsaaten wie Sonnenblumenkerne, Kürbiskerne, Sesam und Hanfsamen. Die verschiedensten pflanzlichen Lebensmittel von Linsen über Vollkornprodukte bis hin zu Nüssen sollten jeden Tag auf dem Speiseplan stehen.
sanego: Was sollten Veganer:innen noch beim Thema Protein beachten?
Dr. Angela Bechthold: Proteine aus pflanzlichen Lebensmitteln sind für unseren Körper biologisch minderwertiger als die aus tierischen Lebensmitteln wie Fleisch, Fisch, Milch und Ei. Das liegt daran, dass ihre Verdaulichkeit häufig schlechter und der Anteil unentbehrlicher Aminosäuren meist geringer ist. Vegan lebende Menschen müssen daher unter Umständen eine größere Menge an Proteinen essen, um den Bedarf zu decken. Alternativ kann auch eine clevere Kombination verschiedener pflanzlicher Lebensmittel den geringeren Gehalt einzelner unentbehrlicher Aminosäuren ausgleichen. So ist Getreide beispielsweise relativ arm an der Aminosäure Lysin, enthält aber viel Methionin – bei Hülsenfrüchten ist es genau umgekehrt. Gerichte wie Reis mit Bohnen oder Vollkornbrot mit Erdnussmus ergänzen sich daher ideal. Auch die Verdaulichkeit pflanzlicher Proteine lässt sich beeinflussen, etwa durch Einweichen, Keimen, Fermentieren oder gegebenenfalls Schälen und schonendes Garen der Lebensmittel. Das kann den Gehalt sogenannter antinutritiver Stoffe, die die Aufnahme von Proteinen im Körper hemmen, reduzieren und die Verdaulichkeit verbessern.
Drei Dinge, die Sie über Proteine wissen sollten
sanego: Können Sie zum Abschluss drei Dinge nennen, die jede:r zu Proteinen wissen sollte?
Dr. Angela Bechthold:
Vorsicht bei Proteinlabeln auf Süßigkeiten, Chips und Co: Eine Extraportion Protein macht Ungesundes nicht gesünder!
Eine erhöhte Proteinzufuhr allein bewirkt keinen dauerhaften Gewichtsverlust und keinen Muskelzuwachs.
Für eine gesunde Ernährung zählt mehr als nur der Proteingehalt. Die Auswirkungen der Ernährung auf den Stoffwechsel und die Gesundheit hängen von vielen Faktoren ab, die über das Verhältnis der Hauptnährstoffe Kohlenhydrate, Fette und Proteine oder über das Essen oder nicht Essen einzelner Lebensmittel hinausgehen.
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