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/ Warum verlieben wir uns immer in die Falschen? Paartherapeutin Yvi Blum im Interview

Warum verlieben wir uns immer in die Falschen? Paartherapeutin Yvi Blum im Interview

Von: Tamara Todorovic

Veröffentlicht: 09.08.2024

Lesezeit: 6 Min.

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Eine Frau hält eine kleine rote Flagge hoch. Im Hintergrund ist ein Restaurant mit Gästen zu sehen.
In unserem Liebesleben landen wir immer wieder bei Menschen, die uns nicht guttun. Doch woran liegt das? | © Ezio Gutzemberg

So manche Beziehungen fühlen sich an wie eine schlechte Telenovela - Jedes Mal der gleiche Plot, nur mit neuen Schauspielern und Schauspielerinnen! Doch warum landen wir immer wieder bei Menschen, die uns nicht guttun?

Paartherapeutin und Lovefluencerin Yvi Blum verrät, was dahintersteckt: Verliebtheit ist kein Vorgang, den wir bewusst steuern. Denn wir alle entwickeln bereits in der Kindheit unseren Bindungsstil. In unserem Liebesleben wiederholen wir dann unbewusst häufig die gleichen negativen Muster und suchen uns die falschen Partner:innen aus. In ihrem Buch „New love, same shit?! Was du tun kannst, damit du nicht immer auf die Gleichen reinfällst“ gibt sie Tools, Tests und Übungen an die Hand, um unseren Bindungsstil zu identifizieren, unsere Trigger zu verstehen und alte Muster zu durchbrechen. Im Interview gibt Yvi uns einen kleinen ersten Einblick.

Welchen Einfluss hat unsere Jugend auf unsere aktuellen Beziehungen?

sanego: „Man nimmt sich immer selbst mit in Beziehungen.“ Was ist damit gemeint?

Yvi Blum: Der Satz „Man nimmt sich immer selbst mit in Beziehungen“ bedeutet, dass unsere persönlichen Probleme, Unsicherheiten und Verhaltensmuster in jede Beziehung, die wir eingehen, mitgebracht werden. Diese tief verwurzelten Aspekte unserer Persönlichkeit beeinflussen, wie wir auf bestimmte Situationen reagieren und wie wir mit unserem Partner interagieren. Oft sind diese Reaktionen unbewusst und stammen aus früheren Erfahrungen, die unser Verhalten geprägt haben. Solche Verhaltensmuster sind Ausdruck innerer Konflikte, die oft aus früheren Beziehungen oder Kindheitserfahrungen stammen und uns in neuen Beziehungen begleiten.

Leider kommen wir bei unseren Beziehungen nicht sehr weit, wenn wir die Schuld immer im Außen suchen und unsere Beziehungspartner und -Partnerinnen dafür verantwortlich machen, welche Dynamik sich entwickelt. Menschliches Verhalten bedingt sich immer gegenseitig und wir tragen einen großen Teil dazu bei, wie sich unsere Beziehungen entwickeln und eben auch, dass sich bestimmte Muster wiederholen, wenn wir sie nicht durchbrechen.

sanego: Nehmen wir einmal an, die frühe Kindheit verlief wunderbar. Was hat es in diesem Zusammenhang mit dem verletzten inneren Teenager auf sich?

Yvi Blum: Das Konzept des verletzten inneren Teenagers bezieht sich auf die ungelösten emotionalen Wunden und Konflikte, die wir aus unserer Jugendzeit mit uns tragen. Diese können sich in Beziehungen zeigen, wenn alte Verletzungen und Unsicherheiten durch aktuelle Ereignisse getriggert werden. Der verletzte innere Teenager kann sich in Gefühlen von Eifersucht, Wut oder Überempfindlichkeit ausdrücken, die scheinbar unverhältnismäßig zu den aktuellen Ereignissen sind. Das populäre innere Kind steht für die Grundbedürfnisse nach Liebe und Sicherheit während der innere Teenager der rebellische Part in uns ist, der dann diese Grundbedürfnisse verteidigen will.

Yvi Blum

im Schwarzwald geboren, ist langjährige Journalistin, Moderatorin, Paartherapeutin und Buchautorin. Sie berät Singles und Paare in schwierigen Beziehungsphasen, unterhält ein breites Publikum mit ihrem Content und ist als Expertenstimme häufig zu Gast in TV-, Radio- und Printmedien.

sanego: Warum suchen wir uns unbewusst immer den gleichen Typ Mann oder Frau aus?

Yvi Blum: Menschen neigen dazu, sich unbewusst immer wieder denselben Typ Partner auszusuchen, weil sie in diesen Beziehungen vertraute Muster wiederholen wollen. Dies kann auf tief verwurzelte Glaubenssätze über Liebe und Beziehungen zurückzuführen sein. Zum Beispiel könnte jemand, der in der Kindheit emotionale Distanz erfahren hat, unbewusst Partner wählen, die ebenfalls emotional distanziert sind. Dies geschieht oft, weil die Person versucht, ungelöste emotionale Bedürfnisse zu befriedigen oder vergangene negative Beziehungserfahrungen zu korrigieren. Glaubenssätze wie „Liebe muss erkämpft werden“ oder „Nähe führt zu Verletzungen“ können dazu führen, dass Menschen Partner wählen, die diese Glaubenssätze bestätigen. Wir wählen leider oft nicht das was uns guttut, sondern das, was vertraut ist, auch wenn das bedeutet, schädliche Muster zu wiederholen.

Warum bleiben wir in Beziehungen, die uns nicht guttun?

sanego: Weshalb bleiben Menschen in Beziehungen, die ihnen nicht guttun?

Yvi Blum: Menschen bleiben oft in ungesunden Beziehungen aufgrund von Unsicherheiten, Angst vor dem Alleinsein oder aus Gewohnheit. Oftmals kann das Prinzip der intermittierenden Verstärkung eine Rolle spielen, bei dem unregelmäßige positive Verstärkungen, wie gelegentliche liebevolle Gesten, die Person in der Beziehung halten. Das typische Heiß-Kalt-Verhalten, das macht tatsächlich süchtig. Man ist süchtig nach dieser Achterbahnfahrt, nach "Drama". Vielleicht gibt es auch Überzeugungen wie, dass man nicht mehr verdient hat oder dass Beziehungen immer schmerzhaft sind, die dazu führen, dass Menschen in ungesunden Dynamiken verharren. Die Krux ist leider, dass diese Dinge unbewusst ablaufen und es bisweilen schwierig ist, sich daraus zu befreien.

Buchcover New love, same shit
Buchcover New love, same shit | © GU Verlag

sanego: Haben dysfunktionale Beziehungen eine Chance?

Yvi Blum: Dysfunktionale Beziehungen können durchaus eine Chance haben, wenn beide Partner bereit sind, an sich selbst und an der Beziehung zu arbeiten. Ausgenommen natürlich jedwede Form von Gewalt. Bei dysfunktionalen Kommunikationsstilen beispielsweise gibt es noch die Möglichkeit daran zu arbeiten. Und ganz grundlegend: Es gibt einen Unterschied zwischen Menschen, die aus Schutzmechanismen heraus handeln, aber trotzdem an der Beziehung arbeiten wollen, und solchen, die keine Bereitschaft zeigen, sich zu engagieren. Wenn beide Partner ihre Verhaltensweisen reflektieren und sich bemühen, diese zu ändern, dann haben wir hier große Chancen.

Bindungsangst + Verlustangst = dysfunktionale Beziehung?

sanego: Als klassisches Beispiel dysfunktionaler Beziehungen wird häufig die Kombination Bindungsvermeider:in mit Verlustängstler:in genannt. Wie genau äußern sich denn Verlustangst und Bindungsangst?

Yvi Blum: Bindungsängstliche und Verlustängstliche haben tief verwurzelte Ängste, die oft aus vergangenen Erfahrungen stammen. Bindungsängstliche fürchten, durch Nähe und Intimität ihre Unabhängigkeit zu verlieren und verletzt zu werden, während Verlustängstliche Angst davor haben, verlassen zu werden und suchen daher ständig Bestätigung und Nähe. Beide Reaktionen sind Mechanismen, um sich vor emotionalem Schmerz zu schützen, was oft in frühkindlichen Erfahrungen wurzelt.

sanego: Was hat es mit der so genannten „Anxious-Avoidant Trap“ auf sich und wie kann man ihr entkommen?

Yvi Blum: Die „Anxious-Avoidant Trap“ beschreibt eine Beziehung zwischen einem Partner mit Verlustangst und einem mit Bindungsangst oder auch einem Menschen mit unsicher-ängstlichem (anxious) und unsicher-vermeidendem Bindungsstil (avoidant). Diese Dynamik kann zu einem Teufelskreis führen, in dem der verlustängstliche Partner ständig Nähe sucht, während der bindungsängstliche Partner diese Nähe vermeidet und weiter flüchtet. Beide bestätigen sich so in ihren Ängsten und negativen Glaubenssätzen. Um dieser Falle zu entkommen, müssen beide Partner ihre Ängste und Verhaltensmuster erkennen und bewusst daran arbeiten, ihre Kommunikations- und Interaktionsweisen zu ändern.

sanego: Warum werden vermeidend gebundene Menschen – insbesondere in den sozialen Netzwerken – tendenziell so verteufelt?

Yvi Blum: Vermeidend gebundene Menschen werden oft verteufelt, weil ihr Verhalten als kalt oder unbeteiligt wahrgenommen wird. In den sozialen Netzwerken werden solche Personen oft als unsensibel oder rücksichtslos dargestellt, weil sie nicht die gleiche emotionale Verfügbarkeit zeigen wie andere. Dies kann zu Missverständnissen und negativen Urteilen führen, obwohl das vermeidende Verhalten oft eben wie auch die Bedürfnisse nach viel Bestätigung und Nähe und das Regulieren durch den Partner/die Partnerin eines eher ängstlichen Typen ein Schutzmechanismus ist, der eben aus früheren Verletzungen resultiert.

sanego: Was können Nähevermeider:innen und Verlustängstler:innen voneinander lernen?

Yvi Blum: Nähevermeider und Verlustängstler können viel voneinander lernen, insbesondere wenn es darum geht, die eigenen Ängste zu erkennen und zu bewältigen. Vermeidende Herzen können lernen, Vertrauen aufzubauen und sich emotional zu öffnen, während ängstliche Herzen lernen können, ihre Selbstsicherheit zu stärken und nicht ständig Bestätigung von außen zu suchen. Eine bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Bindungsmustern kann beiden helfen, gesündere und erfüllendere Beziehungen zu führen.

Autoreninformation

Tamara Todorovic

Medizinische Redakteurin

Tamara Todorovic studierte Germanistik und English & American Studies. Während dieser Zeit arbeitete sie beim Jugendmagazin des Franken Fernsehens, einem Hörfunksender der Mediaschool Bayern, sowie Deutschlands führendem Medienunternehmen für Gaming- und Hardware-Trends.

Anschließend absolvierte sie ihr Volontariat bei unternehmer.de. Seit April 2021 ist sie bei der ärzte.de MediService GmbH & Co. KG, zu der sanego.de gehört, als Medizinische Redakteurin tätig und auch für den Bereich Content Commerce zuständig.

Während Tamaras Schulzeit im sozialen Zweig einer Fachoberschule kristallisierte sich ihr Interesse für Psychologie und Pädagogik heraus. Ihre schulischen Praktika absolvierte sie in einem Autismus-Zentrum, in den Dr. Erler Kliniken Nürnberg, bei der Nürnberger Tafel, in Kindergärten sowie in einem Pflegeheim. Ihr fachliches Wissen sowie diese Praxiserfahrung im sozialen Bereich gibt sie am liebsten in Artikeln rund um das Thema mentale Gesundheit zum Besten.

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