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Lecanemab: Neue Hoffnung bei Alzheimer

Von: Linda Künzig

Aktualisiert: 03.11.2025

Lesezeit: 7 Min.

Behandlung | Krankheiten | Medikamente

Eine ältere Person bekommt eine Infusion in die Hand.
Lecanemab könnte bei Alzheimer im frühen Stadium den Krankheitsverlauf verlangsamen. | © peopleimages.com - stock.adobe.com

Alzheimer zählt zu den häufigsten Ursachen für Demenz im Alter. Bisherige Medikamente konnten den Verlauf nur leicht bremsen, aber nicht aufhalten. Mit Lecanemab steht nun erstmals ein Wirkstoff zur Verfügung, der direkt an einer der vermuteten Ursachen ansetzt – den krankhaften Eiweißablagerungen im Gehirn.

Alzheimer einfach erklärt – Definition und Grundlagen der Erkrankung

Viele Menschen verwenden die Begriffe Alzheimer und Demenz gleichbedeutend – doch das ist ein Irrtum. Demenz beschreibt die Folge: den Verlust geistiger Fähigkeiten. Alzheimer hingegen ist die Ursache – eine Erkrankung des Gehirns, die Nervenzellen schädigt und dadurch Gedächtnis und Denken schrittweise verändert.

1906 beschrieb der deutsche Neurologe Alois Alzheimer erstmals die Krankheit. In den Gehirnbefunden einer Patientin erkannte er Veränderungen, die heute als typische Merkmale der Demenzform gelten: Eiweißablagerungen und der Abbau von Nervenzellen.

Mittlerweile stellt Alzheimer eine eigenständige Erkrankung des Gehirns dar, die sich über viele Jahre entwickelt. Sie unterscheidet sich klar von anderen Demenzformen – etwa der vaskulären Demenz, die durch Durchblutungsstörungen entsteht, oder der Lewy-Körperchen-Demenz, bei der zusätzlich Bewegungsstörungen auftreten können.

Wie häufig ist Alzheimer in Deutschland?

In Deutschland sind rund 1,8 Millionen Menschen von einer Demenz betroffen. Etwa zwei Drittel von ihnen haben Alzheimer – die häufigste Form der Krankheit.

Jährlich kommen rund 400.000 Neuerkrankungen hinzu. Das Risiko steigt deutlich mit dem Alter:

  • ab 65 Jahren: etwa 1 bis 2 Prozent

  • ab 80 Jahren: über 15 Prozent

  • ab 90 Jahren: mehr als 40 Prozent

Frauen sind häufiger betroffen als Männer, vorwiegend aufgrund der höheren Lebenserwartung. Ohne wirksame Prävention könnte die Zahl der Erkrankten bis 2050 auf rund 2,8 Millionen steigen.

Alzheimer-Symptome erkennen – erste Anzeichen und typischer Verlauf

Alzheimer entwickelt sich langsam und schleichend. Erste Anzeichen sind meist unauffällig und werden oft mit normaler Vergesslichkeit verwechselt. Mit der Zeit nehmen die Beschwerden zu und beeinträchtigen zunehmend den Alltag.

Typische Symptome sind:

  • Schwierigkeiten, sich neue Informationen zu merken

  • Orientierungsprobleme in vertrauter Umgebung

  • Wortfindungsstörungen oder stockende Gespräche

  • nachlassendes Urteilsvermögen und Konzentration

  • Veränderungen in Stimmung und Verhalten

  • Verlust der Selbstständigkeit im späteren Verlauf

Der Verlauf ist individuell verschieden, folgt aber mehrheitlich einem ähnlichen Muster: Zunächst zeigen sich leichte Vergesslichkeit und kleine Gedächtnislücken, später nehmen die Alltagseinschränkungen deutlich zu, bis Betroffene schließlich Pflege und Unterstützung benötigen.

Wichtig:

Alzheimer ist nicht Teil des normalen Alterns, sondern eine krankhafte Veränderung des Gehirns.

Ursachen von Alzheimer: wie die Krankheit im Gehirn entsteht

Um Alzheimer zu verstehen, hilft ein Blick auf die Kommunikation der Nervenzellen im Gehirn. Diese Zellen stehen über lange Ausläufer miteinander in Verbindung und leiten elektrische Impulse weiter. Auf diese Weise tauschen sie ständig Informationen aus. An den Kontaktstellen, den sogenannten Synapsen, werden die Impulse in chemische Botenstoffe umgewandelt. Diese sogenannten Neurotransmitter übertragen die Signale auf die nächste Zelle. Der wichtigste Botenstoff für Gedächtnis und Konzentration ist Acetylcholin. Wenn seine Menge abnimmt, geraten die Signale ins Stocken – die Kommunikation zwischen den Nervenzellen bricht allmählich zusammen.

Die genauen Auslöser der Alzheimer-Krankheit sind bis heute nicht vollständig verstanden. Forschende vermuten ein Zusammenspiel verschiedener biologischer und lebensbedingter Faktoren, die den Krankheitsverlauf über viele Jahre prägen:

  • Amyloid-Beta-Ablagerungen: Bestimmte Eiweißstoffe lagern sich zwischen den Nervenzellen ab und bilden Klumpen. Dadurch können die Nervenzellen nicht mehr richtig miteinander kommunizieren.

  • Tau-Veränderungen: Ein anderes Eiweiß, das Tau-Protein, verändert sich innerhalb der Nervenzellen. Es verliert seine Stützfunktion – die Zellen werden instabil und ihre Signalweiterleitung wird gestört.

  • Genetische Einflüsse: Bestimmte Gene (etwa das ApoE4-Gen) erhöhen das Risiko, an Alzheimer zu erkranken.

  • Lebensstilfaktoren: Bluthochdruck, Bewegungsmangel, Rauchen, ungesunde Ernährung und wenig geistige Aktivität können das Risiko zusätzlich steigern.

Kein Zusammenhang zwischen Alzheimer und BSE

Alzheimer, BSE („Rinderwahnsinn“) und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit klingen ähnlich, haben aber nichts miteinander zu tun:

  • Alzheimer entsteht durch körpereigene Eiweißablagerungen im Gehirn, die Nervenzellen langsam schädigen. Die Krankheit ist nicht ansteckend und entwickelt sich über viele Jahre.

  • BSE entsteht bei Rindern durch sogenannte Prionen – fehlgefaltete Eiweiße, die andere Eiweiße krankhaft verändern.

  • Beim Menschen kann daraus in seltenen Fällen eine Creutzfeldt-Jakob-Krankheit entstehen, die sehr schnell verläuft.

Fazit: Alzheimer ist eine neurodegenerative Erkrankung, keine Infektion. Sie hat biologisch nichts mit BSE oder Creutzfeldt-Jakob gemeinsam.

Alzheimer behandeln – bisherige Medikamente und Ansätze

Lange Zeit konnten Medikamente bei Alzheimer nur die Symptome lindern, nicht aber den Krankheitsverlauf beeinflussen. Ziel war es, die geistige Leistungsfähigkeit möglichst lange zu erhalten und den Alltag zu erleichtern.

Medikamentöse Behandlung

Zur Behandlung kamen bislang primär zwei Wirkstoffgruppen zum Einsatz, die auf unterschiedliche Weise in den Gehirnstoffwechsel eingreifen:

  1. Acetylcholinesterase-Hemmer

    Zur Substanzklasse der Acetylcholinesterase-Hemmer zählen Donepezil, Rivastigmin und Galantamin. Sie verbessern die Kommunikation zwischen den Nervenzellen, indem sie das Enzym blockieren, das den Botenstoff Acetylcholin abbaut. Dadurch bleibt mehr Acetylcholin im Gehirn aktiv – wichtig für Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Orientierung. Viele Betroffene erleben dadurch eine vorübergehende Stabilisierung der geistigen Leistungsfähigkeit und kommen im Alltag besser zurecht.

  2. Memantin

    Dieser Wirkstoff greift in ein anderes System des Gehirns ein. Er reguliert den Botenstoff Glutamat, der bei Alzheimer überaktiv sein kann. Zu viel Glutamat führt zu einer Reizüberflutung, die Nervenzellen schädigt. Memantin dämpft diese Überaktivität und schützt so die Zellen teilweise vor weiterem Abbau. Es kommt vorwiegend in mittleren bis fortgeschrittenen Krankheitsstadien zum Einsatz, wenn Acetylcholinesterase-Hemmer allein nicht mehr ausreichen.

Beide Behandlungsansätze können die Symptome für einige Monate bis Jahre mildern, die Krankheit selbst aber nicht stoppen.

Nicht-medikamentöse Maßnahmen

Auch ohne Medikamente lässt sich viel für die Lebensqualität tun. Wichtig sind:

  • geistige Aktivität und regelmäßiges Gedächtnistraining

  • körperliche Bewegung und soziale Kontakte

  • strukturierte Tagesabläufe und vertraute Umgebung

  • ausgewogene Ernährung und gute Kontrolle von Blutdruck, Zucker und Cholesterin

Diese Maßnahmen fördern das Wohlbefinden und die Selbstständigkeit im Alltag, ersetzen aber keine medikamentöse Behandlung.

"Mit dem Ansatz, über das hirneigene Immunsystem die bestehenden Eiweißklumpen im Hirn zu bekämpfen, besteht erstmalig die Möglichkeit, eine der Ursachen von Demenz gezielt zu bekämpfen."

Dr. Eckart von Hirschhausen zu seiner Dokureihe „Hirschhausen und das große Vergessen

Lecanemab in der Alzheimer-Therapie – Wirkprinzip und Studienlage

Lecanemab ist das erste Medikament, das nicht nur Symptome lindert, sondern direkt in den Krankheitsverlauf eingreift. Es richtet sich an Menschen im frühen Stadium der Erkrankung, wenn noch viele Nervenzellen aktiv sind.

Wirkprinzip

Lecanemab ist ein sogenannter monoklonaler Antikörper. Er erkennt und bindet bestimmte Formen des Eiweißes Amyloid-Beta, das sich bei Alzheimer im Gehirn ablagert. Diese Ablagerungen gelten als eine der Hauptursachen für den progressiven Nervenzellschaden. Durch das Binden und Entfernen dieser Eiweißmoleküle verlangsamt der Wirkstoff den weiteren Krankheitsverlauf.

Studienergebnisse

In der großangelegten CLARITY-AD-Studie verlangsamte Lecanemab den Krankheitsfortschritt um etwa 27 Prozent gegenüber Placebo. Die geistige Leistungsfähigkeit bleibt damit länger stabil, auch wenn die Erkrankung weiter voranschreitet. Fachleute sprechen deshalb von einer krankheitsmodifizierenden Therapie – also einer Behandlung, die den Verlauf messbar beeinflusst.

Anwendung

Die Behandlung erfolgt derzeit alle zwei Wochen über eine Infusion in spezialisierten Zentren mit ärztlicher Überwachung. Bevor die Therapie beginnt, müssen bildgebende Verfahren oder eine Liquor-Analyse Amyloid-Ablagerungen im Gehirn nachweisen.

Nebenwirkungen und Risiken

Wie bei allen Antikörpertherapien sind Nebenwirkungen möglich. Häufig treten sogenannte ARIA-Veränderungen auf („Amyloid Related Imaging Abnormalities“ – vorübergehende Schwellungen oder kleine Blutungen im Gehirn). Sie verursachen in der Regel keine Beschwerden, erfordern jedoch regelmäßige Kontrollen. Ein erhöhtes Risiko besteht bei Menschen mit einer bestimmten genetischen Variante (ApoE4).

Bedeutung von Lecanemab für die Zukunft

Lecanemab gilt als Meilenstein in der Alzheimer-Forschung. Zum ersten Mal gelingt es, den Verlauf messbar zu verlangsamen. Damit eröffnet sich ein vollkommen neuer Ansatz in der Behandlung von Demenzen – weg von der reinen Symptombehandlung hin zu einer ursachenorientierten Therapie. Der Wirkstoff zeigt, wie sich die krankhaften Eiweißablagerungen im Gehirn gezielt beeinflussen lassen. Die Ergebnisse wecken die Hoffnung, Alzheimer künftig schon im Anfangsstadium gezielt zu bremsen. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt der Diagnose: Früh erkannter Alzheimer erhöht den Behandlungserfolg von Lecanemab.

Zugleich bleiben viele Fragen offen. Noch ist unklar, wie dauerhaft der Effekt über mehrere Jahre anhält und welche Patientengruppen am meisten profitieren. Auch die praktische Umsetzung – etwa die häufigen Infusionen, die Kostenübernahme durch Krankenkassen und die nötigen Kontrollen mittels MRT – stellt das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen.

Langfristig könnte Lecanemab den Weg für weitere Antikörpertherapien ebnen. Viele Forschungsteams weltweit arbeiten bereits an Folgepräparaten, die an anderen Krankheitsmechanismen ansetzen oder sich kombinieren lassen.

Trotz offener Fragen markiert Lecanemab den Beginn einer neuen Ära der Alzheimer-Behandlung: Erstmals besteht die reale Aussicht, das Fortschreiten der Erkrankung zu bremsen – und damit Lebensqualität und Selbstständigkeit über längere Zeit zu erhalten.