Gehören Sie zu den 61,3 % der Deutschen, die in den letzten zwölf Monaten Rückenschmerzen hatten? Gerade bei langanhaltenden Beschwerden und chronischen Schmerzen soll ein Eingriff oft Erleichterung schaffen. Doch nicht immer sind Operationen bei Rückenschmerzen die beste Lösung.
Dr. Florian Alfen, Facharzt für Orthopädie und erfahrener Wirbelsäulenchirurg, kennt beide Seiten: die der Ärzte und Ärztinnen und die der Patienten und Patientinnen. In seinem Buch „Der Rückenoperateur, der sich nicht selbst operieren konnte“ beschreibt er, warum er seinen eigenen Weg aus den Schmerzen gefunden hat – ohne Skalpell, aber mit einem ganzheitlichen Ansatz.
Im unserem Interview erzählt Dr. Alfen von seinen persönlichen Erfahrungen, der entscheidenden Rolle der tiefen Rückenmuskulatur und warum gezieltes Training eine nachhaltige Alternative zur Operation sein kann. Zudem gibt er praxisnahe Tipps, wie Sie ihre Rückengesundheit selbst in die Hand nehmen können.
sanego: Ihr Buch trägt den Titel „Der Rückenoperateur, der sich nicht selbst operieren konnte“. Was war für Sie der entscheidende Moment, an dem Sie erkannten, dass eine Operation nicht die einzige Lösung für Ihre eigenen Beschwerden sein kann?
Dr. Florian Alfen: Eine Operation sollte immer die letzte Option im Behandlungsverlauf sein. Wenn es nicht anders geht, weil z.B. Gefahr im Verzug ist, empfehle ich ein minimalinvasives Verfahren – also zum Beispiel eine endoskopische OP –, damit möglichst wenig Flurschaden entsteht. Ich hatte damals starke Schmerzen, aber zum Glück keine gravierenden Symptome, die eine OP dringend erforderlich machten. Folglich habe ich die üblichen Therapien gemacht, die ich auch meinen Patienten mit der Diagnose Bandscheibenvorfall empfehle. Leider ohne Erfolg. Deshalb habe ich mich in meiner Verzweiflung auf die Suche nach einer Alternative gemacht.
sanego: Sie haben als Wirbelsäulenchirurg weltweit operiert und Ärzte bzw. Ärztinnen ausgebildet. Wie haben Ihre eigenen Erfahrungen mit Rückenschmerzen Ihr Verständnis für deren Ursachen und Behandlung geprägt?
Dr. Florian Alfen: Meine Erfahrung in der Rolle des Patienten hat mich dazu gebracht, meinen Blick weg von den Symptomen und auf die grundlegenden Ursachen von Beschwerden zu lenken. Als Operateur beheben wir in erster Linie einen sichtbaren Schaden und gehen davon aus, dass die Schmerzen danach deutlich besser werden sollten. Allerdings stehen strukturelle Veränderungen und die wahrgenommenen Schmerzen nicht immer in direkter Verbindung. Denn auch ein Bandscheibenvorfall ist nur ein Symptom. Erst als Patient ist mir so richtig bewusst geworden, dass die Wirbelsäulenmuskulatur für die Behandlung von Rückenschmerzen eine Schlüsselfunktion einnimmt.
ist Facharzt für Orthopäde mit den Zusatzqualifikationen in Sportmedizin und Chirotherapie. Er leitet als Inhaber das Private Wirbelsäulenzentrum Dr. Alfen in Würzburg. Darüber hinaus ist er Präsident der Gesellschaft für Medizinische Kräftigungstherapie (GMKT-D) und engagiert sich in der Betreuung internationaler Spitzensportler aus den Disziplinen Fechten, Handball und Triathlon.
sanego: In Ihrem Buch sprechen Sie von der „Zwei-Minuten-Wirbelsäulenrevolution“. Können Sie kurz erklären, was genau dahintersteckt und warum diese Methode so wirkungsvoll ist?
Dr. Florian Alfen: Der speziell zu marketingzwecken etwas provokative Slogan „Die Zwei-Minuten-Wirbelsäulenrevolution“ bezieht sich auf unser Erhaltungsprogramm, das bereits mehrere Tausend Menschen in den POWERSPINE Zentren erfolgreich machen. Dafür grundlegend ist ein spezifisches Aufbautraining, um die Funktion der tiefliegenden Wirbelsäulenmuskulatur wiederherzustellen. Gelingt uns das über ein isoliertes Training mit Hilfe von speziellen Maschinen, hat das einen positiven Effekt auf nahezu alle Wirbelsäulenbeschwerden. Und das Beste an der ganzen Sache ist die Tatsache, dass viele unserer Patienten mit einem sehr geringen Aufwand von nur zwei Minuten pro Monat diesen Zustand erhalten können. Auch wenn wir heute die wissenschaftlichen Beweise dafür haben, war diese Erkenntnis über die entscheidende Rolle dieser Muskeln auch für mich eine Revolution.
sanego: Die tiefe Rückenmuskulatur scheint in der klassischen Therapie oft vernachlässigt zu werden. Warum wird sie bisher kaum gezielt trainiert?
Dr. Florian Alfen: Das liegt daran, dass diese Muskulatur normalerweise kein spezielles Training braucht. Bei gesunden Menschen wird sie durch alltägliche Aktivitäten ausreichend beansprucht. Gleichzeitig gibt es in unserem modernen Lebensstil sehr viele Faktoren, die einen negativen Einfluss auf die tiefe Rückenmuskulatur haben. Bewegungsmangel, einseitige Belastung, Stress, Übergewicht und Mangelernährung stehen nicht nur in Verbindung mit den bekannten Zivilisationskrankheiten, sondern das sind auch häufige Ursachen für Rückenschmerzen. Klassische Therapien fokussieren sich auf diese allgemein bekannten Hauptfaktoren und behandeln oft nur die Symptome.
Erst durch die jüngste Forschung gibt es klare Beweise dafür, dass die tiefe Rückenmuskulatur vor allem bei der Entstehung von chronischen Rückenschmerzen eine entscheidende Rolle spielt. Die Hauptaufgabe dieser einzigartigen Muskeln liegt darin die einzelnen Bestandteile der Wirbelsäule zu stabilisieren, damit das Rückenmark und die Nervenwurzeln geschützt sind. Gleichzeitig muss die Wirbelsäule als zentrale Achse des Körpers beweglich sein, damit wir unsere Alltagsaktivitäten verrichten können. Kein Implantat und keine Schraube dieser Welt erledigen diese Aufgabe so gut, wie der Multifidus. Das ist sozusagen der Superstar unter diesen Muskelschichten.
Liegt eine sogenannte Dysfunktion – also eine Störung – dieser Muskeln vor, reichen alltägliche Bewegungen oder konventionelle Übungen nicht mehr aus, um diese Muskulatur ausreichend zu stimulieren. Die Aktivität dieser Muskeln unterliegt nicht unserer willkürlichen Steuerung, so dass der Multifidus ohne ein gezieltes Training immer mehr seiner ursprünglichen Funktion verliert. Das kann laut wissenschaftlicher Erkenntnisse eine wesentliche Ursache für immer wiederkehrende Beschwerden sein. Aus den neuesten Untersuchungen geht sogar hervor, dass diese Fehlfunktion bestehen bleiben kann, auch lange nachdem die Schmerzen wieder abgeklungen sind. Das erklärt, warum Patienten ohne ein spezielles Training oft nur vorübergehend beschwerdefrei sind.
sanego: Viele Menschen mit Rückenschmerzen stehen vor der Frage: Operation oder konservative Therapie? Welche Rolle spielen Ihre Erkenntnisse in dieser Entscheidung, und wann ist eine OP wirklich unvermeidbar?
Dr. Florian Alfen: Solange keine Lähmungserscheinungen, Blasen- und Mastdarmstörungen oder intolerable Schmerzen vorliegen, solange kein Risiko für einen irreparablen Schaden besteht, sollte immer eine konservative Therapie gewählt werden.
Mit den aktuellen Erkenntnissen aus der Wissenschaft, sollte es für jeden Arzt und Therapeuten ganz klar sein, dass bei der Behandlung von Rückenschmerzen die tiefliegenden Muskeln wegen ihrer wichtigen Funktion nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Das gilt natürlich auch für die Fälle, wo eine unvermeidbar ist. Denn auch im Rahmen der Nachbehandlung, erreichen wir durch das gezielte Training erwiesenermaßen bessere Ergebnisse. Also auch eine operierte Wirbelsäule braucht eine funktionierende Stabilisierung über die tiefliegende Muskulatur.

sanego: Sie haben jahrelang operiert und sich dann zunehmend auf die Vermeidung von Operationen konzentriert. Glauben Sie, dass sich die Zukunft der Wirbelsäulenmedizin grundlegend ändern wird?
Dr. Florian Alfen: Ja auf jeden Fall! Wir sehen das schon heute, in der Form, dass unser Spezialgebiet (die tiefliegenden Muskeln) ins Visier der Operateure geraten ist. Dort wird aktuell geforscht, ob man mit Hilfe von Implantaten eine künstliche Stimulierung dieser Muskulatur erreichen kann. Das ist ein brisantes Thema und man sieht daran ganz deutlich, dass die Operateure nach neuen Methoden suchen, um überleben zu können. Aber Hand aufs Herz! Würden Sie sich operieren lassen, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist?
Wenn sich der Trend von einer symptomatischen Behandlung der Beschwerden zu einer kausalen Therapie – also einer ursächlichen Behandlung – weiter durchsetzt, wird sich auch die Wirbelsäulenmedizin grundlegend ändern müssen. Natürlich haben die Pharmaindustrie und Kliniken, die mit Operationen ihr Geld verdienen etwas gegen diesen Trend. Daher setzten wir all unsere Hoffnung auf die größte Lobby in diesem Bereich. Die Patienten.
sanego: Ihr Buch wird als „das letzte Rückenbuch, das Betroffene lesen müssen“ beworben. Was möchten Sie unseren Lesern und Leserinnen mit auf den Weg geben, die schon vieles ausprobiert haben und dennoch unter chronischen Rückenschmerzen leiden?
Dr. Florian Alfen: In diesem Buch stecken 20 Jahren praktische Erfahrung und Forschung zu diesem komplexen Thema Rückenschmerz. Als Operateur und als Patient verstehe ich beide Seiten in diesem System und sehe mich verpflichtet, meine Erkenntnisse mit Ihnen zu teilen. Deswegen habe ich auch kein weiteres klassisches „Rücken-Sachbuch“ aus der Sicht eines Experten geschrieben, sondern vor allem meine Geschichte mit als Patient in diesem Buch geschildert. So kann ich heute sagen, dass ich selber einer dieser 30.000 Patienten war, denen wir erfolgreich mit diesem Konzept helfen konnten. Jeden Tag kommen weitere dazu und ich bin mir sehr sicher, dass wir damit auch Ihren Rückenschmerz grundlegend verändern werden.