In den vergangenen Jahren rückten verunreinigte Arzneimittel immer wieder in den Fokus – und legten Schwächen in den globalen Liefer- und Produktionsstrukturen offen. Viele Wirkstoffe stammen von wenigen internationalen Herstellern, häufig mit Sitz in Asien. Treten dort Qualitätsprobleme auf, kann das weltweit Millionen von Patienten und Patientinnen betreffen.
Momentan sorgt das Antidepressivum Duloxetin für Unsicherheit – besonders bei Menschen, die es regelmäßig einnehmen. Auslöser ist der Nachweis bedenklicher Substanzen in einzelnen Packungen. Wieder geht es um eine bereits bekannte Substanzklasse: Nitrosamine. Diese chemischen Verbindungen gelten bereits in kleinsten Mengen als potenziell krebserregend und dürfen in Arzneimitteln nicht enthalten sein.
Was sind Nitrosamine – und warum sind sie bedenklich?
Nitrosamine sind unerwünschte Nebenprodukte, die bei chemischen Reaktionen entstehen – etwa in der Industrie, beim Zersetzen organischer Stoffe oder durch alltägliche Einflüsse wie Rauchen oder Pökeln. Auch im Trinkwasser lassen sich vereinzelt Spuren nachweisen. Ein bekanntes Beispiel ist N-Nitrosodimethylamin (NDMA), das in der Vergangenheit in verschiedenen Arzneimitteln gefunden wurde. Besonders kritisch: Laut Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) gibt es bei Nitrosaminen keine sichere Aufnahmemenge – schon kleinste Mengen können langfristig gesundheitsschädlich sein.
Chronologie der Nitrosamin-Funde: Von Valsartan bis Duloxetin
Nitrosamin-Verunreinigungen beschäftigen Behörden und Hersteller seit Jahren – mit weitreichenden Folgen für Betroffene, Apotheken und die Arzneimittelsicherheit insgesamt:
2018: Der Valsartan-Skandal als Auslöser
Der Sommer 2018 wird vielen Menschen noch lange im Gedächtnis bleiben: In Valsartan-Präparaten fanden sich Rückstände von NDMA – vermutlich durch eine Änderung im Herstellungsprozess bei einem Produzenten in China. Etwa 900.000 Menschen in Deutschland könnten betroffen gewesen sein. Die Folge: Rückrufe im großen Stil und strengere Vorgaben für die Produktion.
2019: Ranitidin – ein vertrautes Magenmittel verschwindet
Auch Ranitidin, viele Jahre ein gängiges Mittel bei Sodbrennen, zeigte bei Untersuchungen Spuren von NDMA. – vermutlich durch Abbauprozesse bei der Lagerung. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) reagierte konsequent: Ranitidin ist seither nicht mehr verfügbar, die Zulassung ruht aktuell bis Anfang 2027.
2020: Metformin unter Beobachtung
Auch das Diabetesmedikament Metformin geriet ins Blickfeld, nachdem Analysen dort Nitrosamin-Spuren aufdeckten – allerdings unterhalb der zulässigen Grenzwerte. Rückrufe gab es in der EU nicht, aber die Behörden verschärften ihre Prüfungen.
2023: Rückruf von Implicor® wegen N-Nitroso-Metoprolol
Nach dem Fund von Nitrosaminen nahm der Hersteller das Kombinationspräparat Implicor® gegen Bluthochdruck vom Markt. Ein akutes Risiko bestand nicht, dennoch wurde zur Umstellung der Therapie geraten. Da keine neuen Chargen zur Verfügung standen, kam es zu Engpässen.
2024/2025: Duloxetin-Rückruf in den USA und Deutschland
Zunächst in den USA, dann auch in Deutschland, zogen Hersteller bestimmte Duloxetin-Produkte aus dem Verkehr. Die Maßnahmen betreffen aktuell nur einzelne Chargen, nicht alle Packungen.
Duloxetin ist ein Arzneimittel aus der Gruppe der Antidepressiva. Es hilft bei unterschiedlichen psychischen und körperlichen Beschwerden.
Anwendungsgebiete:
Depressionen
Generalisierte Angststörung
Chronische Schmerzen wie diabetische Nervenschädigungen, Fibromyalgie oder bei chronischen Rücken- und Gelenkbeschwerden
Wirkweise:
Erhöht im Gehirn die Konzentration der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin
Diese wirken stimmungsaufhellend und schmerzhemmend
Die Wirkung setzt meist nach 1 bis 2 Wochen ein
Wichtige Hinweise zur Einnahme:
Duloxetin sollte täglich und regelmäßig eingenommen werden
Ein Absetzen darf nicht plötzlich und nur nach ärztlicher Rücksprache erfolgen
Duloxetin-Rückruf – so handeln Sie jetzt richtig
Vielleicht haben Sie in den Nachrichten vom Rückruf einiger Duloxetin-Chargen gehört – und fragen sich, was das für Ihre Therapie bedeutet. Keine Sorge: Wir zeigen Ihnen Schritt für Schritt, was jetzt zu tun ist:
Bewahren Sie Ruhe
Nicht alle Chargen sind betroffen – ein sofortiges Absetzen ist nicht notwendig und kann sogar schädlich sein.Lassen Sie in Ihrer Apotheke prüfen, ob Ihre Packung betroffen ist
Anhand der Chargennummer auf der Verpackung oder dem Blister kann das Apothekenteam sofort erkennen, ob Ihr Medikament zu den betroffenen Packungen gehört.Wenden Sie sich bei einem Rückruf an Ihren Arzt oder Ihre Ärztin
Gemeinsam lässt sich meist schnell eine passende Alternative finden.Halten Sie sich über seriöse Quellen auf dem Laufenden
Verlässliche Informationen erhalten Sie in Ihrer Apotheke, Arztpraxis oder auf den Seiten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Mögliche Engpässe: Das sollten Sie jetzt beachten
Neben der Sorge um mögliche Verunreinigungen geht es jetzt auch um die Frage: Bleibt Duloxetin auch zukünftig verfügbar? Tatsächlich ist bereits absehbar, dass es bei einzelnen Präparaten zu Lieferengpässen kommen kann – voraussichtlich bis Ende 2026. Auch bei Duloxetin prüfen die Behörden, ob die Nitrosamine bei Herstellung, Lagerung oder Verpackung entstehen. Sollte Ihr gewohntes Duloxetin-Präparat vorübergehend nicht lieferbar sein, kann Ihre Apotheke in der Regel auf ein anderes Produkt mit gleichem Wirkstoff ausweichen. Falls ein Wechsel erforderlich ist, besprechen Sie das am besten mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin.
Mehr Sicherheit bei Arzneimitteln: So reagieren Behörden auf Verunreinigungen
Die Nitrosamin-Funde in der Vergangenheit waren für viele Betroffene ein Schock – und für die Behörden ein Weckruf. Um solche Risiken künftig besser in den Griff zu bekommen, haben europäische und nationale Stellen gemeinsam Konsequenzen gezogen. Ein wichtiger Schritt war ein Leitfaden mit dem Titel „Lessons learnt from presence of N-nitrosamine impurities in sartan medicines“ – also sinngemäß: „Was wir aus den Nitrosamin-Funden gelernt haben“. Er zeigt, wie sich Verunreinigungen künftig verhindern lassen – und wie Behörden im Ernstfall schnell, gezielt und grenzüberschreitend reagieren sollen. Als weitere Folge trat im August 2019 das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) in Kraft. Es fördert die Zusammenarbeit zwischen den Behörden und macht Informationen über Wirkstoffhersteller transparenter. Diese Maßnahmen bilden die Grundlage, um auf Fälle wie Duloxetin schneller und gezielter zu reagieren – damit Sie zuverlässig informiert sind und die Versorgung gesichert bleibt.
Warum es bei Medikamenten immer wieder zu Engpässen kommt
Die Rückrufe der letzten Jahre zeigen: Viele Medikamente hängen weltweit an nur wenigen Herstellern. Rund 80 Prozent der Wirkstoffe für den deutschen Markt kommen inzwischen aus Asien – meist aus China oder Indien. Das spart zwar Kosten, macht uns aber auch anfällig für Probleme. Wenn es bei einem dieser Hersteller zu Verunreinigungen oder Qualitätsmängeln kommt, kann das schnell zu Rückrufen, Lieferausfällen und Unsicherheit führen – auch hierzulande. Bei Arzneimitteln, die Millionen Menschen täglich benötigen, wiegen Produktionsprobleme besonders schwer. Eine Rückverlagerung der Produktion nach Europa klingt sinnvoll, erfordert aber Zeit und Investitionen. Deshalb sind jetzt besonders wichtig: klare Lieferketten, strenge Kontrollen und politische Lösungen, die die Versorgung zuverlässig sichern.
Nicht jedes fehlende Medikament führt sofort zu Problemen. Entscheidend ist, ob die Versorgung weiterhin gesichert ist:
Lieferengpass: Ein Medikament ist vorübergehend nicht beim Hersteller oder Großhändler verfügbar – andere Präparate mit gleichem Wirkstoff sind aber größtenteils noch erhältlich.
Versorgungsengpass: Es gibt keine passenden Alternativen mehr, und die Behandlung könnte dadurch beeinträchtigt sein. In diesem Fall kommen dann auch Import-Arzneimittel oder fremdsprachige Verpackungen zum Einsatz.
Fazit: Sichere Therapien brauchen starke Strukturen
Die aktuelle Verunsicherung ist nachvollziehbar – wer täglich auf Medikamente angewiesen ist, möchte sich auf deren Qualität verlassen können. Rückrufe wie bei Duloxetin machen deutlich: Arzneimittelsicherheit hängt nicht nur von Laborwerten ab, sondern auch von funktionierenden Lieferketten, klaren Regeln und politischen Entscheidungen. Damit Ihre Therapie auch in Zukunft sicher bleibt, sind transparente Prozesse, verlässliche Strukturen und wirksame Kontrollen entlang der gesamten Lieferkette unabdingbar – von der Herstellung bis in die Apotheke.