Seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes im April 2024 hat sich die rechtliche Situation rund um Cannabis auf Rezept in Deutschland erheblich verändert. Die neuen Regelungen vereinfachen Ärzten und Ärztinnen die Verschreibung THC-haltiger Arzneimittel und ermöglichen Patienten und Patientinnen leichteren Zugang zu Cannabistherapien. Dabei wurde insbesondere die Verschreibungspraxis flexibilisiert und der bisherige Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen für bestimmte Facharztgruppen aufgehoben. Diese Neuerungen spiegeln die zunehmende Anerkennung der therapeutischen Vorteile von Cannabis wider und erleichtern Patienten und Patientinnen den Zugang zu Medizinalcannabis.
Kulturhistorische Bedeutung des Hanfs
Medizinisches Cannabis blickt auf eine lange Geschichte zurück, die bis in die frühen Hochkulturen reicht. Die Hanfpflanze (Cannabis sativa) zählt zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Ihre Nutzung lässt sich bis mindestens 2800 v. Chr. zurückverfolgen. Ursprünglich wurde Hanf wegen seiner robusten Fasern geschätzt, die zur Herstellung von Seilen, Segeltüchern, Kleidung, Papier und Ölen genutzt wurden.
Neben diesen technischen Anwendungen wurde Cannabis auch aufgrund seiner psychoaktiven und medizinischen Eigenschaften verwendet. Bereits um 2700 v. Chr. wird es in der chinesischen Medizin als Heilmittel beschrieben, insbesondere in der Arzneimittellehre des Kaisers Shen-Nung.
Historische Entwicklung der medizinischen Verwendung von Cannabis
Cannabis breitete sich von China aus nach Indien und Persien aus, wo es bereits in vedischer Zeit medizinisch eingesetzt wurde. Persische Schriften wie die Avesta (6. Jh. v. Chr.) beschreiben seine betäubende Wirkung. Auch in Ägypten findet sich im "Papyrus Ebers" (16. Jh. v. Chr.) eine medizinische Verwendung.
Im antiken Europa war Cannabis bekannt, hatte aber eine geringere Bedeutung als Opium. Dioskurides erwähnte die Pflanze als Mittel gegen Ohrenschmerzen (50 n. Chr.).
Im 19. Jahrhundert erlebte Cannabis in Europa eine Renaissance in der Medizin. Der britische Arzt O'Shaughnessy erforschte seine Wirkung und setzte es erfolgreich zur Behandlung von Tetanus und Rheuma ein.
Heute nehmen die Einsatzbereiche zu und gewinnen an Relevanz, beispielsweise Cannabis bei Schlafstörungen.
Gesetzliche Entwicklung: Vom Verbot zur medizinischen Verschreibung
Das Einheits-Übereinkommen von 1961 stellte Cannabis in Deutschland unter strenge Kontrolle und verhinderte weitgehend seine medizinische Nutzung. Erst in den 1990er Jahren führte die Entdeckung des Endocannabinoid-Systems zu einer Neubewertung der medizinischen Anwendung. In Deutschland wurde 2017 medizinisches Cannabis legalisiert und kann seitdem ärztlich verschrieben werden.
Grundlagen zu Cannabis und Cannabinoiden
Vor einer medizinischen Anwendung von Cannabis ist es entscheidend, die botanischen und pharmakologischen Grundlagen zu kennen. Ein Verständnis der Wirkstoffe sowie ihrer Interaktion mit dem menschlichen Endocannabinoid-System ist essenziell für eine wirksame Therapie.
Botanische Einordnung und Klassifizierung der Cannabispflanze
Cannabis gehört zur Familie der Hanfgewächse (Cannabaceae) und ist eine zweihäusige, windbestäubte Pflanze. Dabei gibt es einige Unterarten mit unterschiedlichem Cannabinoidgehalt, insbesondere Cannabis sativa, Cannabis indica und Cannabis ruderalis.
Grundlagen des Endocannabinoid-Systems
Das Endocannabinoid-System (ECS) reguliert wichtige körperliche Funktionen wie Schmerzempfinden, Stressbewältigung und Homöostase. Es umfasst die CB1- und CB2-Rezeptoren sowie körpereigene Liganden wie Anandamid und 2-AG.
Pharmakokinetik und pharmakologische Wirkweise der Cannabinoide
Die Wirkung von Cannabinoiden hängt stark von der Applikationsform ab. Inhalierte Cannabinoide wirken innerhalb weniger Minuten, orale Applikationen benötigen ein bis zwei Stunden. Die Verstoffwechselung erfolgt in der Leber über das Cytochrom-P450-Enzymsystem.
Wirkungen und Nebenwirkungen
Cannabis als Medizin bietet vielfältige therapeutische Potenziale, ist jedoch nicht frei von Risiken. Sowohl Patienten und Patientinnen als auch Ärzte und Ärztinnen sollten über erwünschte Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen umfassend informiert sein.
Psychische Wirkungen von Cannabis
Cannabis kann einerseits entspannend und euphorisierend wirken, andererseits aber auch Angst und Paranoia auslösen. THC ist für die psychoaktiven Effekte verantwortlich, während CBD eine antipsychotische Wirkung hat.
Körperliche Wirkungen von THC und CBD
THC beeinflusst das kardiovaskuläre System, kann den Herzschlag erhöhen und den Augeninnendruck senken. CBD hingegen besitzt entzündungshemmende, neuroprotektive und antikonvulsive Eigenschaften.
Nebenwirkungen
Typische Nebenwirkungen umfassen Mundtrockenheit, Schwindel und vorübergehende eingeschränkte kognitive Fähigkeiten.
Arzneimittel-Wechselwirkungen
Cannabinoide können mit Medikamenten wie Antikoagulantien und Antidepressiva interagieren und deren Wirkung beeinflussen.
Medizinische Indikationen und Evidenzlage
Medizinisches Cannabis wird heute für zahlreiche Erkrankungen eingesetzt, wobei die wissenschaftliche Evidenz für die einzelnen Anwendungsbereiche unterschiedlich stark ausgeprägt ist.
Gut belegte Indikationen
Chronische neuropathische Schmerzen
Schlafstörungen
Spastik bei Multipler Sklerose: Cannabis-basierte Medikamente können die Muskelspannung reduzieren.
Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen: Hierbei sind Dronabinol und Nabilon zugelassen.
Angststörungen und PTBS: CBD kann anxiolytische Wirkungen haben.
Fazit
Die medizinische Nutzung von Cannabis hat in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Aktuell ist die wissenschaftliche Evidenz ist für einige Indikationen gut, für andere jedoch noch begrenzt. Während Cannabinoide ein breites therapeutisches Potenzial besitzen, sollte auch jede Cannabistherapie von einem erfahrenen Arzt oder einer erfahrenen Ärztin begleitet und stetig optimiert werden. Zukünftige Forschung wird verdeutlichen, in welchen Bereichen Cannabis sich langfristig als wertvolle Ergänzung zu bestehenden Medikamenten sein kann.