Social Media schwächt das Gedächtnis von Kindern
Parallele Mediennutzung könnte dem Gedächtnis schaden
Die neuronale Vernetzung im Gehirn wird mit jedem Tool schwächer
Glaubt man den vielen Schlagzeilen, so schadet die Mediennutzung unserem Gehirn. Doch stimmt das überhaupt? Wird unser Gehirn tatsächlich zu wenig gefordert oder kann es sogar von den vielen digitalen (Lern-)Möglichkeiten profitieren?
Dazu haben wir Neurowissenschaftler und Gedächtnisexperten Dr. Boris Nikolai Konrad befragt:
sanego: Wir sitzen täglich an digitalen Endgeräten. Welchen Einfluss hat das auf unser Gedächtnis?
Dr. Boris Nikolai Konrad: Digitale Geräte verändern nicht nur, was wir tun, sondern auch, wie unser Gehirn arbeitet. Das liegt nicht an den digitalen Geräten, sondern wie wir sie benutzen. Oft ist es so, dass wir permanent erreichbar sind, oft durch Meldungen abgelenkt werden, oder zwischen Social Media Posts, Videos, Nachrichten hin und her springen. Unser Gedächtnis wird an sich dadurch nicht schlechter, aber unsere Aufmerksamkeit leidet. Ohne Aufmerksamkeit auf einen Inhalt kann nichts gespeichert werden. Viele Menschen sagen: „Ich vergesse ständig Dinge.“ In Wahrheit haben sie sie nie bewusst aufgenommen.
sanego: Viele Dinge müssen wir uns heute nicht mehr merken, z. B. Telefonnummern oder Wegbeschreibungen. Trainieren wir unser Gedächtnis im Alltag überhaupt noch genug?
Dr. Boris Nikolai Konrad: Wenn wir unser Gedächtnis nicht nutzen, wird es schlechter. Wenn wir alle Informationen outsourcen, also zum Beispiel abspeichern, dann ist das schlecht für uns. Das heißt nicht, dass wir Telefonnummern wieder mehr auswendig kennen müssen. Aber wir sollten unser Gedächtnis anderweitig fordern: mit echten Lernaufgaben, neuen Inhalten, aktiver Wiederholung. Denn ein trainiertes Gehirn bleibt länger fit. Das zeigen viele Studien, auch im Hinblick auf das Risiko für kognitive Erkrankungen im Alter.
forscht als Neurowissenschaftler am Donders Institute for Brain, Cognition, and Behaviour in Nimwegen (Niederlande). Außerdem ist er Gedächtnistrainer, Speaker und achtfacher Team-Weltmeister im Gedächtnissport.
Zudem ist er Autor mehrere Bücher: Alle Bücher von Dr. Boris Nikolai Konrad
Wie trainieren Sie Ihr Gedächtnis am besten?
sanego: Welche klassischen Übungen zum Gedächtnistraining, z. B. Sudoku, Memory, empfehlen Sie zum Gedächtnistraining?
Dr. Boris Nikolai Konrad: Sudoku oder Memory können ein gutes Training sein, weil sie die Konzentration fördern und wir anfangs unser Gehirn dafür herausfordern. Wenn ich ein Sudoku aber mit ein paar einfachen Strategien nahezu nebenbei löse, ist das kein Gehirntraining mehr. Gedächtnistraining ist deutlich mehr als das: Es sind Methoden, die wir aktiv anwenden können und die unser Gehirn so auch trainieren, weil wir das Gedächtnis damit stätig fordern, auf dem eigenen Leistungsniveau.
sanego: Kann ich hierfür auch digitale Versionen wie Lernapps oder Spiele auf dem Computer nutzen?
Dr. Boris Nikolai Konrad: Ja, digitale Angebote können das Gedächtnistraining wunderbar unterstützen, wenn sie sinnvoll gebaut sind und wir sie so nutzen, dass es unser Denken fordert. Die App sollte nicht nur unterhalten, sondern echte Denkprozesse anregen. Also nicht nur bunte Klickspiele, bei denen das Gedächtnis nur minimal angesprochen wird, sondern Aufgaben, bei denen man wirklich Informationen behalten, vergleichen und abrufen muss. Auch beim Sudoku ist egal, ob es auf Papier oder auf dem Bildschirm ist, wenn es mich herausfordert. Entscheidend ist nicht das Medium, sondern der Inhalt.
Darauf sollten Sie bei der Auswahl digitaler „Gedächtnistrainer“ achten
sanego: Viele Spiele-Apps werben damit, besonders gut für das „Gehirnjogging“ und Gedächtnistraining zu sein. Worauf muss ich bei der Auswahl achten?
Dr. Boris Nikolai Konrad: Viele dieser Apps trainieren vor allem das, was sie selbst abfragen. Also zum Beispiel Reaktionsgeschwindigkeit oder bestimmte Denkmuster innerhalb der App. Studien zeigen, dass die meisten Gehirntrainings-Apps nur begrenzten Transfer auf den Alltag haben. Man wird besser im Spiel, aber das heißt nicht automatisch, dass man sich im echten Leben plötzlich mehr merken kann.
In Studien schauen Forscher:innen auf den Transfer-Effekt. Also die Frage, ob das Training zu messbaren Verbesserungen außerhalb der App führt. Die Forschung ist hier zurückhaltend. Viele Programme liefern kaum Belege für solche Effekte, mit Ausnahme spezieller Trainings bei älteren Menschen, Personen mit beginnendem kognitivem Abbau oder in der Rehabilitation. Dort können digital gestützte Übungen durchaus wirksam sein.
Wie schon gesagt gilt, dass es uns dann trainiert, wenn wir abwechslungsreiche, kognitiv anspruchsvolle Aufgaben lösen, die in ihrer Schwierigkeit regelmäßig gesteigert werden und gerne echte Inhalte einbeziehen. Je aktiver der bzw. die Nutzer:in selbst mitdenkt, statt nur auf Reize zu reagieren, desto besser. Leider ist das für die Anbieter auch schwierig. Spiele, die uns mehr unterhalten als trainieren und viele, schnelle Belohnungen bieten, werden öfter benutzt. Leider helfen sie weniger.
Gedächtnistraining für alle – die Digitalisierung macht es möglich
sanego: Dank digitaler Angebote gibt es auch mehr Möglichkeiten zum Gedächtnistraining: von Sprachlern-Apps über Podcasts bis hin zu Online-Kursen. Könnten dadurch mehr Menschen Zugang zum Gedächtnistraining haben?
Dr. Boris Nikolai Konrad: Unbedingt, und das ist ein großer Gewinn! Noch vor einigen Jahren war Gedächtnistraining etwas, für das wir Aufwand betreiben mussten. Für meine ersten Trainingseinheiten etwa für den Gedächtnissport vor rund 20 Jahren habe ich noch meine Familie eingespannt, um aus Katalogen Fotos auszuschneiden und Namen drunter zu schreiben, damit ich üben konnte. Heute können wir per App oder Onlinekurs in wenigen Minuten täglich unser Gehirn fordern. Das ist auch gut so, da es besser ist oft kleine Übungen zu machen, etwa in der App, als einmal die Woche zwei Stunden zum Gedächtnistraining zu gehen.
sanego: Wie schätzen Sie die Zukunft des Gedächtnistrainings ein: Könnten KI und digitale Geräte die Anforderungen an unser Gehirn und damit auch unser Gedächtnis nachhaltig verändern?
Dr. Boris Nikolai Konrad: Ich glaube, sie tun es bereits. Stärker noch, das haben menschliche Erfindungen schon immer. In meinem Vortrag „Bleiben wir schlauer als KI?“ zeige ich etwa, dass Sokrates Angst davor hatte, dass die Menschen schreiben lernen, weil es das Gedächtnis schwächen könnte, weil es das Denken und Merken abnimmt. Heute ist es Künstliche Intelligenz, die uns viele Denkaufgaben abnehmen kann. Das ist praktisch, aber es verändert auch unser kognitives Verhalten. Aber so wie die Schrift die Menschheit kognitiv vorangebracht hat, kann KI das vielleicht auch. Es liegt aber an uns, wie wir sie einsetzen!
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