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Gesunde Ernährung: Kein Kuchen ist auch keine Lösung. Ernährungsmedizinerin Dr. Yael Adler im Interview

Von: Elisabeth Maußner

Aktualisiert: 10.04.2025

Lesezeit: 11 Min.

Patientenwissen | Tipps | Mein Körper

Zwei Frauen essen unterschiedliche Cupcakes.
Wer sich gesund ernähren möchte, sollte soziale Aspekte und den Genuss nicht zu kurz kommen lassen. | © Kzenon - stock.adobe.com

Wir essen, wenn wir Hunger haben, mit der Familie zusammenkommen, auf Festen und zu wichtigen Anlässen - Essen ist mehr als nur Nahrungsaufnahme, gleichzeitig hat es aber auch großen Einfluss auf unsere Gesundheit. Dr. Yael Adler, Fachärztin für Dermatologie und Ernährungsmedizin, hat all diese Aspekte für ihr Buch “Genial ernährt” zusammengetragen.

Wie können wir psychologische Aspekte, wissenschaftliche Erkenntnisse und Genuss zu einer gesunden Ernährung zusammenführen? Einige Antworten auf diese Fragen lesen Sie in unserem Interview.

sanego: Es gibt inzwischen viele Regale voll mit Ernährungsratgebern - wie Sie ja auch selbst schreiben. Was macht Ihr Ratgeber anders?

Dr. Yael Adler: Mein Buch möchte eigentlich kein Ratgeber im klassischen Sinne sein, sondern für Wissen sorgen und damit für Gesundheitskompetenz. Ich möchte, dass Menschen wissen, wie ihr Körper funktioniert, wie er verdaut, wie der Stoffwechsel abläuft. Was mit Lebensmitteln und Nahrungsmitteln passiert, wenn sie in den Körper gelangen und welche gut und welche schlecht sind. Und ich will auch Lust machen auf Lebensmittel.

Damit möchte ich zeigen, dass es für gesunde Ernährung keine starren Gerüste gibt, an denen man sich orientieren muss, sondern um eine gesunde Balance geht.

"Genial ernährt!" ist bei folgenden Shops erhältlich:

Was passiert bei der Nahrungsaufnahme im Körper?

sanego: Ein Großteil von “Genial ernährt” ist den biochemischen Prozessen in unserem Körper gewidmet, die bei der Nahrungsaufnahme ablaufen. Warum ist es so wichtig, diese zu kennen?

Dr. Yael Adler: Biochemie klingt jetzt wahnsinnig wissenschaftlich, aber ich hoffe, dass es mir gelungen ist, die Prozesse interessant zu erklären. Wer seinen Körper und was Lebensmittel können, versteht, kann besser für sich und seine Gesundheit sorgen und auch Ziele erreichen, zum Beispiel den Blutzucker verbessern oder die Darmgesundheit optimieren. Zudem fällt man auch nicht mehr so leicht auf falsche Versprechen und Mythen herein, wenn man die Hintergründe kennt. Ich habe versucht, das mit Emotionen, Spaß und Humor verständlich zu machen.

sanego: Was sollte jede(r) über diese Prozesse wissen?

Dr. Yael Adler: Eine wichtige Basis unserer Ernährung sind Makronährstoffe und Mikronährstoffe. Low Carb, High-Protein und Low-Fat sind Ernährungstrends, die pauschal und einseitig missverstanden werden. Unser Körper braucht alle Makronährstoffe, die in verschiedenen Lebensmitteln vorkommen, hier geht es vor allem um die Art, die Qualität und auch das Timing. Trends, bei denen wir einen Bereich ausgrenzen oder reduzieren, sind deswegen nicht nötig und können sogar schlecht sein. Und wir sollten auch die Mikronährstoffe mehr im Blick haben. Sie arbeiten wie eine Schweizer Taschenuhr, bei der alle Zahnräder ineinandergreifen und jedes einzelne wichtig ist. Wenn Zink, Selen, Omega 3 Fettsäuren oder B-Vitamine fehlen, kann das den ganzen Prozess bremsen, auch wenn von den anderen jeweils genug da ist.

Es ist wichtig zu wissen, dass es gesunde und ungesunde Fette gibt. Einige kann der Körper gut verwerten, beispielsweise Omega 3 Fettsäuren. Kohlenhydrate wiederum versorgen den Körper mit Energie, nur die freien und schnell freisetzenden Kohlenhydrate, also Zucker, aus Limonaden, Süßigkeiten, Weißmehl, Fruchtsäften sind zu reduzieren, die fördern nämlich Zivilisationskrankheiten. Dabei geht es um die Relationen. Vor 200 Jahren aßen wir 4 Kilo Zucker pro Jahr, jetzt sind es 70 Kilo.

Man kann aber auch mit intelligenten Zuckern süßen, die die Darmflora stärken oder das Gehirn schützen und stärken, wie Tagatose und Galactose. Milde Süße gelingt auch mit der Aminosäure Glycin zum Drüberstreuen, Yacon-Wurzel-Pulver, klein geschnittenen Datteln und süßlichen Gewürzen, wie Zimt, Vanille oder auch Kakao ohne Zucker.

Und Proteine und Aminosäuren, deren Bausteine sind essentiell und einzigartig. Sie müssen zwangsläufig über die Nahrung aufgenommen werden - ohne sie läuft nix. Hier sollten Sie auf eine gute Qualität und Vielfalt bei der Lebensmittelauswahl achten, um an alle Aminosäuren zu kommen. Es ist faszinierend, wie vielfältig hier auch Pflanzenkost für eine gute Versorgung sorgt.

Der Körper kann viele Nährstoffe selber herstellen und ineinander umwandeln. Wichtig ist vor allem, dass Sie verstehen, wie der Körper verdaut, wie der Stoffwechsel läuft, was er dann mit diesen Stoffen macht und wo sie zum Einsatz kommen.

sanego: Ein wichtiger Bestandteil ist auch die Flüssigkeitszufuhr, also was und wie viel wir trinken. Wie beeinflusst das die Prozesse in unserem Körper und was sollten wir dazu beachten?

Dr. Yael Adler: Ein erwachsener Mensch besteht zu 50 bis 60 Prozent aus Wasser, unser Gehirn zu 75 Prozent und die Knochen sogar zu 22 Prozent. Das Wasser steckt in allen Zellen. Wir brauchen es für unsere Temperaturregulation, fürs Gelenkeschmieren, für alle Stoffwechselprozesse. Außerdem dient es als ein Transport- und Lösungsmittel und ist natürlich auch Teil der körpereigenen Kläranlage. Mehrere hundertmal fließt Wasser am Tag durch die Nieren. 1700 Liter Blut werden dort gereinigt und so Abfallstoffe herausgefiltert.

Sie sollten ungefähr zwei bis drei Liter am Tag trinken, genau genommen 35 Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht als guter Richtwert. Ein Teil davon wird über die Nahrung geliefert, also 20 bis 30 Prozent in Form von Suppe, Obst oder Gemüse. Daran können Sie den Richtwert anpassen, aber auch an die aktuelle Situation. Ist es heiß und Sie schwitzen viel, müssen Sie entsprechend mehr trinken.

Jeder Zweite - so zeigen Untersuchungen - erfüllt den empfohlenen Richtwert von 35 Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht nicht. Das wirkt sich so aus, als hätte man ein bisschen einen Sitzen, etwa 0,8 Promille beim Autofahren. Man ist also weniger reaktionsfähig. Vor allem ältere Menschen vergessen zu trinken. Sie können dann verwirrt sein, die Nebenwirkungen ihrer Medikamente verstärken sich, die Haut wird trocken und faltig und es kann zu Verstopfungen kommen. Ausreichend Flüssigkeit ist deshalb wichtig. Dazu zählen neben Wasser auch Kräutertees und Kaffee. Mineralwasser liefert, wie der Name schon sagt, zusätzlich wichtige Mineralien, Magnesium, Kalium und Lithium zum Beispiel. Aber Mineralien nehmen Sie natürlich auch über die Lebensmittel auf.

Dr. Yael Adler

ist Fachärztin für Dermatologie und Ernährungsmedizin. Sie leitet eine eigene Praxis in Berlin und praktiziert in der renommierten Clinic Utoquai in Zürich. Außerdem ist sie Autorin mehrerer Sachbücher und im September 2025 mit ihrer Live-Tour „Die großartige Kraft der Nährstoffe“ in Deutschland unterwegs.

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Gesunde Ernährung im Alltag

sanego: Nehmen wir an, ich habe die Grundlagen einer gesunden Ernährung verstanden. Wie kann ich diese jetzt in meinem Alltag umsetzen?

Dr. Yael Adler: Es gibt viele Wege, wie man sich ernähren kann. Unser Körper hat eine große Flexibilität. Sie sollten bei den Lebensmitteln aber darauf achten, dass es qualitativ hochwertige Lebensmittel sind, die industriell nicht stark verändert wurden. Damit ist es unserem Körper möglich, Variationen der Mengen von Kohlenhydraten, Fetten und Eiweißen zu sich zu nehmen. Bei Eiweißen müssen wir auf die biologische Wertigkeit achten. Gute Fette, wie aus Olivenöl, Nüssen, Avocado, Saaten, sollten ruhig bis zu 35 % enthalten sein, also Low-Fat ist out. Fettsäuren brauchen wir u.a. für gesunde Zellen, Hormone und Energiereserve, aber auch, weil sie beim Essen für gutes Aroma sorgen, fettlösliche Vitamin in den Körper bringen und länger satt machen. Kohlenhydrate wählen Sie am besten in ihrer komplexen Form aus der Pflanze, damit es keine zu hohen Blutzuckerspitzen gibt. Auf freien Zucker sollten wir möglichst verzichten. Wir müssen nicht auf Fleisch verzichten, wenn wir das mögen, aber wir sollten Wurstwaren und verarbeitetes Fleisch weglassen oder zumindest deutlich reduzieren, denn sie sind nachweislich ungesund und sollten sehr selten auf dem Speiseplan stehen. Wichtig ist, 30 verschiedene pflanzliche Lebensmittel pro Woche aufzunehmen: Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen, Kräuter, Gewürze, Kaffee, Olivenöl und Pilze, gehören in dem Fall auch dazu. Damit erhalten wir laut American Gut Project eine ganz tolle Darmflora. Natürlich sollten wir auch darauf achten, dass wir mindestens 30 Gramm Ballaststoffe am Tag zu uns nehmen. Außerdem Salz reduzieren, lieber Kräuter und Gewürze nehmen und crunchen. Wenn das Essen Geräusche macht, ist das super. Bitte nicht mit Fernsehgeräuschen überlagern. Das gibt dann ein besseres Sättigungsgefühl und ist auch wiederum befriedigender. Essenspausen sind eine gute Sache. Es gibt Menschen, die müssen fünfmal am Tag essen und benötigen Snacks. Für die meisten anderen ist es aber ganz gut, vier bis fünf Stunden nichts zu essen. Sie können zum Beispiel die Nacht zum Fasten nutzen oder erst mittags anfangen zu essen, wenn Sie kein Frühstück mögen. Es gibt viele Varianten. Das nächtliche Fasten ist besonders wertvoll, „break fast“, also Englisch für Fastenbrechen - eine gute Sache, um mehr Wachstumshormon auszuschütten, das Fett abbaut und Muskeln aufbaut sowie der Darmflora die Möglichkeit gibt, in Ruhe zu fermentieren und gemeinsam mit dem Körper von Wachstum auf Wartung zu schalten.

In erster Linie sollten Sie sich nicht unter Druck setzen lassen. Sie sollten Ihren Genusssensor einschalten und Lebensmittel aus dem gesunden Bereich finden, die Ihnen schmecken. Essen Sie bewusst, kochen Sie gerne selbst und probieren Sie neue Sachen aus: Fermentierten, Samen auskeimen lassen. Sie können auch Kaffeepulver in Teige rühren, Kartoffelschalen im Ofen backen oder das Grün von Möhren als Petersilie-Ersatz einsetzen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Ich empfehle außerdem einige Supplements wie Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren und Selen. Eine Blutuntersuchung kann hier zeigen, was Ihnen fehlt.

sanego: Bei der Ernährungsumstellung ist es für viele Menschen einfacher, sich an klare Regeln zu halten, zum Beispiel “5 Portionen Obst und Gemüse am Tag” oder “Der Verzicht auf rotes Fleisch und ungesunde Fette für eine mediterranen Kost”. Sind solche Vorgaben aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Dr. Yael Adler: Viele Menschen sagen, sie brauchen Regeln, um sich gesund zu ernähren. Aber viele Menschen fühlen sich auch durch starre Regeln unter Druck gesetzt und je nach Situation können unterschiedliche Regeln gelten. Deswegen sind zu viele Regeln nicht richtig. Es geht vielmehr darum, den eigenen Körper zu kennen, zu beobachten und zu verstehen. Dann können Sie die richtigen Lebensmittel auswählen und beobachten, wie erfolgreich Sie dabei sind. Dabei kann auch der Hausarzt unterstützen, zum Beispiel Cholesterin und Blutzucker messen. Und nochmal – es geht nicht um Perfektion, sondern Balance. Hoch verarbeitete Lebensmittel mit viel Süßgeschmack, Fett, Salz, Geschmacksverstärkern liefern zu viele Kalorien und verändern unser Geschmacksempfinden nachhaltig und negativ. Allein solche Lebensmittel drastisch zu reduzieren kann unser Empfinden für Aromen und natürlichen Geschmack steigern. Wir können das durch die Lebensmittel der Lebensmittelchemiker verhunzte Appetitzentrum in ein paar Wochen wieder umtrainieren.

Wir profitieren alle von mehr Pflanzenkost, mehr Ballaststoffen und guten Mengen Eiweiß, kombiniert mit einem gesunden Lebensstil. Das finde ich schon eine wichtige Regel. Da würde ich sagen, 30 Pflanzen pro Woche und 30 Gramm Ballaststoffe, das ist eine Challenge, die Spaß machen kann.

Ich würde aber nicht empfehlen, Sie müssen jetzt intermittierendes Fasten machen oder Sie dürfen nur drei Mahlzeiten am Tag essen. Ich sehe das immer wieder: Unterschiedliche Ernährungsformen können zu gesunden oder eben auch kranken Körpern führen. Es ist nicht alles für alle immer gleich richtig. In manchen Regionen der Welt verwerten die Menschen genetisch besser Kohlenhydrate und in anderen besser Fette und mit beiden kann ein Körper gesund und langlebig sein.

Welche Lebensmittel haben eine gute Qualität

sanego: Bei gesunder Ernährung geht es viel darum, was wir essen. Der Nährstoffgehalt vieler Lebensmittel hat sich in den letzten 70 Jahren aber stark verändert. Welche Erkenntnisse gibt es dazu?

Dr. Yael Adler: Durch industrielle Verarbeitung, Zucht, entleerte Böden, lange Reisen und Transporte sind tatsächlich viele Lebensmittel nicht mehr so reichhaltig mit Mikronährstoffen ausgestattet. Die Verschlechterung der Darmflora bei vielen führt auch dazu, dass weniger Mikronährstoffe aufgenommen werden. Die Darmflora wird verarmt durch Antibiosen und viele Medikamente, aber auch durch schlechten Schlaf, mangelnde Muskulatur und Bewegung. Auch unsere Ernährung verschlechtert die Darmflora, zum Beispiel durch industriell verarbeitete, ballaststoffarme Lebensmittel, durch sehr viel Zucker oder Salz, durch Pestizide und durch Konservierungsmittel sowie Mikro- und Nanoplastik. Mikrobiomfreundliche Ernährung kann die Darmflora hier deutlich verbessern.

sanego: Welche Möglichkeiten - außer Selbstanbauen - habe ich, um dennoch nährstoffreiches Obst und Gemüse zu kaufen?

Dr. Yael Adler: Regional und saisonal ist nach wie vor das beste Stichwort. Gern auch Bio, weil dann nicht mit Pestiziden gearbeitet wird. Wenn das Lebensmittel frisch ist, enthält es mehr Vitamine, die noch nicht abgebaut sind. Auch Tiefkühl-Obst und -Gemüse hat noch eine ganze Menge wertvoller Vitamine. Trockenobst ist aber auch mal eine gute Option. Ich sehe das bei meinen Schweizer Patienten, die in ihren Supermärkten oder auf dem Bauernhof viel mehr Bio und regionale und auch reifere Produkte finden, gutes Wasser und viel Bewegung genießen. Die Patienten dort haben eine vielfältigere Darmflora. Das sehe ich hier in Deutschland bei meinen Patienten seltener, wenn ich eine molekulare genetische Stuhlanalyse mache. Es lohnt sich also, hinzuschauen und auf eine gute Essensauswahl zu achten.

Wie passen gesunde Ernährung und Genuss zusammen

sanego: Ein Thema beim gesunden Essen ist auch Genuss. Haben Sie einen abschließenden Rat, wie ich mich gesund ernähren und gleichzeitig das Essen wieder genießen kann?

Dr. Yael Adler: Neue Routinen kann man sich innerhalb von drei bis sechs Wochen angewöhnen, aber hier ist die Voraussetzung, dass es auch schmeckt und Spaß macht. Ich glaube, dass Pflanzenkost so vielfältig ist, dass sie auf jeden Fall interessanter ist als Fleisch. Aber Fleisch dürfen Sie auch essen, solange Sie dazu genug Gemüse essen. Das Stück auf dem Teller schrumpft dann ja automatisch. Es geht eher darum, hinzuzufügen, als Dinge wegstreichen. Essen hat zudem auch soziale und psychische Aspekte. Stressessen, Frustessen, Sorgenessen oder Entspannungsessen, sind Dinge, die Sie nicht nur über Lebensmittel lösen. Wenn Sie da ein Problem haben, sollten Sie sich Unterstützung durch Psychotherapie oder Coachings holen. Zusammen mit der Familie oder Freunden essen hat einen positiven Einfluss.

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