Die Zahl der Übergriffe auf medizinisches Personal in Deutschland steigt seit Jahren kontinuierlich an. Laut einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) geben 73 % der Krankenhäuser an, dass die Zahl der Übergriffe in den letzten fünf Jahren gestiegen ist, darunter Beleidigungen und körperliche Angriffe.
Diese Gewalt äußert sich in verschiedenen Formen:
Verbale Angriffe: Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen.
Körperliche Übergriffe: Schläge, Tritte und andere physische Angriffe.
Sachbeschädigung: Zerstörung von Einrichtung und medizinischem Equipment.
Die Ursachen für diese Eskalationen sind vielfältig: lange Wartezeiten, Personalmangel, Kommunikationsprobleme und psychische Belastungen auf beiden Seiten tragen maßgeblich dazu bei, könnten aber vermieden werden.
In welchen Situationen eskaliert es häufig?
Gewaltsituationen entstehen selten aus dem Nichts – oft sind sie das Ergebnis angestauter Frustration, Missverständnissen oder fehlender Informationen. Viele Eskalationen lassen sich bestimmten Auslösern und Mustern zuordnen:
1. Lange Wartezeiten und Terminengpässe
Ein häufiger Auslöser für Unmut ist das Warten – im Wartezimmer oder auf einen Behandlungstermin. Besonders in überfüllten Praxen fühlen sich Patienten und Patientinnen übersehen oder nicht ernst genommen. Wenn medizinisches Personal keine Zeit für Erklärungen hat, steigt das Konfliktpotenzial.
Beispiel: Eine Patientin, die akute Schmerzen hat, erhält erst in drei Wochen einen Facharzttermin – aus der Verzweiflung kann Wut werden, die sich gegen das Praxisteam richtet.
2. Rezept- oder Überweisungsprobleme
Wenn ein Rezept kurzfristig benötigt wird oder eine Überweisung vergessen wurde, rechnen Patienten und Patientinnen oft mit einer sofortigen Lösung. Kommt es dann zu Verzögerungen, ist die Enttäuschung oft groß – besonders wenn Patienten und Patientinnen auf ihre Medikation angewiesen sind.
Beispiel: Ein Patient verlangt lautstark sein Medikament, obwohl keine gültige Verordnung mehr vorliegt – die MFA wird beschimpft.
3. Emotionale Ausnahmesituationen
Ein schwerer Befund, der Tod eines bzw. einer Angehörigen oder eine belastende Diagnose können emotional überfordern. In diesen Momenten reicht oft ein kleiner Auslöser, um heftige Reaktionen hervorzurufen.
Beispiel: Nach einem Todesfall auf der Intensivstation eskaliert ein Gespräch mit Angehörigen – die Pflegerin wird beleidigt und bedroht.
4. Missverständnisse bei Kommunikation und Aufklärung
Wenn Patienten und Patientinnen ärztliche Erklärungen nicht verstehen oder sich nicht ausreichend informiert fühlen, kann daraus Frust entstehen. Eine klare, einfühlsame Kommunikation ist entscheidend – gerade bei komplizierten Diagnosen oder Behandlungen.
Beispiel: Ein älterer Patient versteht die Therapieempfehlung nicht, fühlt sich „abgeschoben“ und schreit die Ärztin an.
5. Einsatz von Rettungskräften
Im Notfalleinsatz sind Situationen häufig unübersichtlich. Alkohol, Drogen oder psychische Ausnahmelagen der Betroffenen führen oft zu unkontrollierbarem Verhalten – verbale und körperliche Übergriffe auf Sanitäter:innen sind keine Seltenheit.
Beispiel: Ein Sanitäter wird in der Nacht bei einem Einsatz auf einer Party geschlagen, weil der Patient ihn nicht erkennt und sich bedroht fühlt.
Diese Szenarien zeigen, wie wichtig Verständnis, gute Kommunikation und gegenseitiger Respekt im medizinischen Alltag sind – sowohl auf Seiten der Patienten und Patientinnen als auch bei den Fachkräften.
Rechtliche Konsequenzen für Täter
Gewalt gegen medizinisches Personal ist kein Kavaliersdelikt. Seit 2017 stellt § 115 des Strafgesetzbuches (StGB) Angriffe auf Rettungskräfte und medizinisches Personal unter Strafe. Täter:innen müssen mit empfindlichen Strafen rechnen, darunter Geldstrafen und Freiheitsstrafen.
Dennoch gibt es immer mehr Fälle der Gewalt gegen Rettungskräfte. Medizinische Verbände und die Bundesärztekammer fordern deshalb eine konsequente Ahndung solcher Taten und gesellschaftliche Ächtung von Gewalt gegen Gesundheitsberufe.
So vermeiden Sie Stresssituationen in der Arztpraxis
Als Patient:in können Sie durch Ihr Verhalten dazu beitragen, Konflikte zu vermeiden und ein respektvolles Miteinander zu fördern:
Seien Sie frühzeitig dran: Vereinbaren Sie Termine rechtzeitig – das gilt besonders für Kontrolluntersuchungen, Rezepte oder Überweisungen.
Nutzen Sie digitale Angebote: Online-Terminbuchung oder Rezeptformulare auf der Praxiswebseite sparen Zeit und vermeiden Frust.
Bringen Sie Notizen mit: Schreiben Sie Ihre Beschwerden, Medikamente und Fragen vor dem Termin auf – das hilft Ihnen und dem Team.
Zeigen Sie Verständnis für Wartezeiten: Notfälle oder unerwartete Komplikationen können jeden treffen – auch Sie.
Sprechen Sie ruhig und klar: Wenn etwas unklar ist, fragen Sie nach. Bleiben Sie dabei höflich – so wird Ihnen besser geholfen.
Halten Sie emotionalen Abstand: Wenn Sie merken, dass Sie sehr wütend oder frustriert sind – holen Sie tief Luft, verlassen Sie ggf. kurz den Raum und suchen Sie später erneut das Gespräch.
Loben Sie gute Arbeit: Ein ehrliches „Danke“ hebt die Stimmung – auch im stressigen Praxisalltag.
Was kann ich tun, wenn ich Gewalt oder Bedrohung beobachte?
Niemand erwartet, im Wartezimmer Zeuge bzw. Zeugin eines lautstarken Streits oder gar eines körperlichen Übergriffs zu werden. Doch genau das passiert immer häufiger – sei es durch wütende Patienten und Patientinnen, überforderte Angehörige oder eskalierende Situationen im Rettungseinsatz. In solchen Momenten kommt es auf Zivilcourage an – ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.
1. Ruhe bewahren – und nicht wegsehen
Auch wenn es schwerfällt: Beobachten Sie die Situation aufmerksam. Gewalt beginnt oft nicht plötzlich, sondern baut sich auf – durch laute Stimmen, Drohungen, Gesten. Ihr wacher Blick kann helfen, Situationen früh zu erkennen und richtig zu deuten.
2. Personal informieren
Melden Sie bedrohliches Verhalten sofort dem Praxisteam oder anderen Mitarbeitenden vor Ort. Das kann ein wichtiger Schritt sein, um frühzeitig deeskalierend einzugreifen oder Hilfe zu holen. Versuchen Sie nicht, selbst „Vermittler:in“ zu spielen – das ist Aufgabe der geschulten Fachkräfte.
3. Im Ernstfall Polizei verständigen
Wenn Sie das Gefühl haben, dass eine Situation außer Kontrolle gerät, zögern Sie nicht, die 110 zu wählen. Körperliche Gewalt, Bedrohung oder Sachbeschädigung sind keine Bagatellen – sondern strafrechtlich relevant.
4. Nach dem Vorfall Unterstützung anbieten
Vielleicht ist eine MFA den Tränen nahe. Oder es steht ein anderer Patient unter Schock. Zeigen Sie Mitgefühl – ein ruhiges Wort oder das Angebot, Hilfe zu holen, kann für Betroffene viel bedeuten. Auch Ihre Aussage als Zeuge bzw. Zeugin kann später wichtig sein.
5. Ermutigen Sie zur Anzeige
Viele Übergriffe bleiben ungestraft, weil niemand sie meldet. Wenn Sie selbst nicht betroffen, aber Zeuge oder Zeugin waren, können Sie aktiv zur Aufklärung beitragen. Ihre Beobachtung zählt – für mehr Schutz im Praxisalltag.
Wichtig: Bringen Sie sich niemals selbst in Gefahr. Ein ruhiger Hinweis, ein Blickkontakt zum Team oder ein Anruf bei der Polizei kann entscheidend sein. Respektvolles Verhalten beginnt nicht nur beim eigenen Termin – sondern auch, wenn andere in Not geraten.