Gesund bleiben und lange leben – das ist das Ziel der Biohacker und auch ein wichtiger Teil der Allgemeinmedizin. Hausarzt Dr. Carsten Lekutat greift das Prinzip, die eigene Gesundheit zu optimieren, in seiner Praxis auf. Dank einer individuellen Präventivmedizin soll möglichst frühzeitig mit der Therapie begonnen werden, noch bevor eine Krankheit ausbricht. Wie das Biohacking genau funktioniert und was es mit dem „Vital-Code“ aus seinem Buch (Der Vital Code, Knaur Mensanna Verlag) auf sich hat.
Was ist Biohacking?
sanego: Sie sehen sich selbst als Biohacker. Was ist das genau und welcher Aspekt interessiert Sie daran besonders?
Dr. Carsten Lekutat: Als Biohacker sehen wir uns als Menschen, die die Grenzen des Menschseins hinterfragen und durch verschiedene Methoden versuchen, das volle Potenzial des Körpers auszuschöpfen. Ähnlich wie die Punk-Bewegung in den 1970er Jahren gegen gesellschaftliche Normen rebellierte, stellen wir heute die konventionellen Ansätze der Medizin und des Gesundheitswesens in Frage. Wir hinterfragen die Grenzen des Menschseins und versuchen durch verschiedene Methoden, das volle Potenzial des Körpers auszuschöpfen.
Ein besonders interessanter Aspekt des Biohackings ist die individuelle Anpassung der Methoden. Jeder Mensch ist einzigartig, und was für den einen funktioniert, kann für den anderen schädlich sein. Viele Biohacker sind fasziniert von der Idee, dass wir durch das Verständnis der "Geheimsprache" unseres Körpers – den sogenannten Vital-Code – frühzeitig auf potenzielle Gesundheitsprobleme reagieren können. Insgesamt interessiert Biohacker besonders die Möglichkeit, aktiv Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen und die Lebensqualität zu steigern, während gleichzeitig die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Technologien genutzt werden.
sanego: Gehören für Sie dazu auch technische Gadgets, etwa Schlaftracker, Blaulichtfilterbrillen oder implantierte Mikrochips?
Dr. Carsten Lekutat: Ja, technische Gadgets sind definitiv ein wichtiger Teil des Biohackings für mich. Schlaftracker und Blaulichtfilterbrillen gehören zu den einfacheren und weit verbreiteten Tools, die viele Biohacker nutzen, um ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu optimieren. Und natürlich nutze ich sie regelmäßig, auch wenn meine Frau es albern findet, wenn ich ab nachmittags mit einer blauen Brille durch die Wohnung laufe. Aber Blaulichtfilterbrillen sind ein beliebtes Gadget unter uns Biohackern. Sie sollen die Augen vor dem schädlichen blauen Licht von Bildschirmen schützen und so Ermüdungserscheinungen reduzieren, besonders bei langer Computerarbeit.
Und Schlaftracker, ob als separate Geräte oder in Smartwatches integriert, helfen dabei, die Schlafqualität zu überwachen und zu verbessern. Sie liefern wertvolle Daten über Schlafphasen, -dauer und -effizienz, die genutzt werden können, um den Schlaf zu optimieren.
Was implantierte Mikrochips betrifft, so ist dies sicherlich eine extremere Form des Biohackings. Einige Enthusiasten lassen sich tatsächlich kleine Chips unter die Haut implantieren, um beispielsweise Türen zu öffnen oder Daten zu speichern. Diese Praxis ist jedoch umstritten und wird von vielen als riskant angesehen.
Neben diesen Gadgets gibt es noch viele weitere technische Hilfsmittel, die Biohacker nutzen. Dazu gehören Fitness-Tracker, Smartwatches, Apps zur Überwachung verschiedener Körperfunktionen, Geräte zur Messung des Blutzuckerspiegels und sogar fortschrittlichere Technologien wie EEG-Geräte zur Messung der Gehirnaktivität. Und natürlich habe ich das alles schon an mir selbst getestet. Als Biohacker bin ich fasziniert von den Möglichkeiten, die diese Technologien bieten, um unseren Körper besser zu verstehen und zu optimieren. Allerdings ist es wichtig, einen ausgewogenen Ansatz zu verfolgen und nicht zu sehr von der Technologie abhängig zu werden. Der Einsatz solcher Gadgets sollte stets mit einem ganzheitlichen Verständnis von Gesundheit und Wohlbefinden einhergehen.

sanego: Als Hausarzt konzentrieren Sie sich besonders auf den medizinischen Bereich des Biohackings. Welche drei Fakten dazu sollte jede(r) kennen?
Dr. Carsten Lekutat: Drei Fakten, die jeder dazu kennen sollte:
1. Präventivmedizin und Vorsorge kann der Schlüssel zu einem langen und gesunden Leben sein – sowohl in der Länge als auch in der Qualität. Es geht nicht nur darum, Lebensjahre zu verlängern, sondern vor allem darum, qualitativ hochwertige Jahre zu gewinnen. Plakativ gesagt ist es der Unterschied zwischen Kreuzfahrt und Pflegeheim.
2. Medizinische Tests und Untersuchungen sind nicht unfehlbar. In der Präventivmedizin, wo wir uns im sogenannten Niedriginzidenzbereich bewegen, funktionieren unsere medizinischen Tests oft nicht so zuverlässig und liefern häufiger falsche Ergebnisse. Eine „Ein-Test-eine-Diagnose-Strategie“ gehört in den Bereich der Behandlungsmedizin, nicht in die kluge Vorsorgemedizin.
3. Der Vital-Code, also die subtilen Signale unseres Körpers, kann uns frühzeitig auf potenzielle Gesundheitsprobleme hinweisen, lange bevor eine Krankheit ausbricht. Wenn wir lernen, diese Signale und Zeichen richtig zu interpretieren, können wir rechtzeitig handeln und so den entscheidenden Unterschied zwischen zukünftiger Gesundheit und Krankheit ausmachen.
Letztendlich geht es darum, nicht nur Symptome zu behandeln, sondern den Menschen als Ganzes zu betrachten und individuell angepasste Strategien zu entwickeln. Das ist der Kern des medizinischen Biohackings, wie ich es verstehe und praktiziere.
Diese wichtigen Signale sendet uns unser Körper
sanego: In ihrem Buch „Vital Code“ schreiben Sie von einer Art Geheimsprache unseres Körpers, der viele Erkrankungen und Probleme schon im Voraus ankündigt. Wie kann ich mir das genau vorstellen?
Dr. Carsten Lekutat: Der Vital-Code ist eine komplexe "Geheimsprache" unseres Körpers, die subtile Signale über unseren Gesundheitszustand sendet. Anders als offensichtliche Symptome einer Krankheit kann der Vital-Code frühzeitig auf potenzielle Gesundheitsprobleme hinweisen, lange bevor eine Erkrankung ausbricht.
Konkret kann man sich den Vital-Code als eine Reihe von feinen Körpersignalen vorstellen, die oft übersehen oder falsch interpretiert werden.
Der Vital-Code geht über das klassische achtsame In-sich-Hineinhören hinaus. Er umfasst auch Daten, die wir mit modernen Technologien erfassen können, sowie subtile Veränderungen unseres Körpers, die wir normalerweise nicht als Warnsignale interpretieren würden. Das Verständnis und die Interpretation des Vital-Codes ermöglichen es uns, frühzeitig auf potenzielle Gesundheitsprobleme zu reagieren und präventive Maßnahmen zu ergreifen. Dies kann entscheidend sein, um ernsthafte Erkrankungen zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern und somit unsere Gesundheitsspanne zu verlängern.
sanego: Auf welche Signale meines Körpers sollte ich besonders achten?
Dr. Carsten Lekutat: Eine verminderte Herzratenvariabilität (HRV), die mithilfe einer Smartwatch gemessen werden kann, könnte beispielsweise auf ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hindeuten, auch wenn noch keine eindeutigen Symptome vorliegen. Kleine Hautanhängsel wie Stielwarzen am Hals oder auf den Schultern können ein Warnsignal für eine Insulinresistenz sein, eine Stoffwechselstörung, die das Risiko für Diabetes mellitus erhöht. Auch subtile psychische Veränderungen wie plötzlich auftretende Angstgefühle können auf eine zugrundeliegende körperliche Störung hinweisen.
führt seit 2000 seine eigene Hausarztpraxis in Berlin. Zudem ist er als Experte in zahlreichen TV-Formaten zu sehen, unter anderem als Moderator von "Hauptsache Gesund" im MDR Fernsehen, und tourt mit seiner eigenen Bühnenshow durch deutsche Theater.
Wie Sie auf die Signale Ihres Körpers reagieren können
sanego: Was kann ich denn tun, wenn ich eine Veränderung bei mir bemerke, die ein Warnzeichen sein könnte?
Dr. Carsten Lekutat: Wenn Sie eine Veränderung bei sich bemerken, die ein Warnzeichen sein könnte, ist es wichtig, zunächst ruhig zu bleiben und die Situation zu analysieren. Achten Sie darauf, welche spezifischen Symptome oder Veränderungen Sie wahrnehmen und versuchen Sie, diese genau zu dokumentieren. Es kann hilfreich sein, die Häufigkeit und Intensität der Symptome festzuhalten sowie mögliche Auslöser oder begleitende Faktoren zu identifizieren.
Sobald Sie diese Informationen gesammelt haben, empfehle ich, einen Termin bei Ihrem Hausarzt oder einem Facharzt zu vereinbaren. Dort können Sie Ihre Beobachtungen besprechen und gegebenenfalls weitere Untersuchungen anstoßen. Es ist entscheidend, die Signale Ihres Körpers ernst zu nehmen, denn sie können auf zugrunde liegende gesundheitliche Probleme hinweisen, die frühzeitig erkannt und behandelt werden sollten.
Insgesamt gilt: Je früher Sie auf Veränderungen reagieren und entsprechende Maßnahmen ergreifen, desto besser können Sie potenziellen Gesundheitsproblemen entgegenwirken. Der Vital-Code Ihres Körpers ist ein wertvoller Hinweisgeber – lernen Sie ihn zu entschlüsseln und handeln Sie proaktiv und freuen Sie sich, dass Ihr Körper Ihnen Signale sendet!
Der wichtigste Tipp von Carsten Lekutat
sanego: Die Grundlagen eines gesunden Lebens – ausgewogene Ernährung, Sport und Bewegung – sind inzwischen bekannt. Welchen Ratschlag für eine optimierte Gesundheit würden Sie darüber hinaus geben?
Dr. Carsten Lekutat: Nehmen Sie Ihre Gesundheit selbst in die Hand und setzen Sie auf individuelle Prävention. Konzentrieren Sie sich darauf, Ihre "Healthspan" - also die Jahre in guter Gesundheit - zu verlängern, statt nur auf eine höhere Lebenserwartung zu setzen. Achten Sie auf die subtilen Signale Ihres Körpers und reagieren Sie frühzeitig darauf. Experimentieren Sie vorsichtig mit Methoden zur Selbstoptimierung, aber passen Sie diese immer individuell an. Denken Sie langfristig: Jeder Tag in Gesundheit zählt und kann entscheidend sein, um von zukünftigen medizinischen Fortschritten zu profitieren.