/
/ Wie wir kommunizieren beeinflusst unserer Gesundheit. Kommunikationscoach Lisa Holtmeier im Interview

Wie wir kommunizieren beeinflusst unserer Gesundheit. Kommunikationscoach Lisa Holtmeier im Interview

Von: Elisabeth Maußner

Veröffentlicht: 25.06.2025

Lesezeit: 8 Min.

Mein Körper | Tipps | Patientenwissen

Sechs unterschiedliche Menschen sitzen in einem Stuhlkreis und unterhalten sich.
Ob ernste oder alltägliche Gespräche - die Art wie Sie kommunizieren hat auch Einfluss auf die eigene Gesundheit. | © Photographee.eu - stock.adobe.com

Wir alle kennen gute Gespräche, die uns Selbstbewusstsein und Energie geben ebenso wie diesen einen Satz, der uns ratlos und grübelnd zurücklässt. Kommunikation beeinflusst aber nicht nur kurzfristig unsere Stimmung, sondern kann auch langfristige gesundheitliche Folgen haben.

Wie diese aussehen können, weiß Lisa Holtmeier. Sie ist Kommunikationscoach, Ergotherapeutin und Autorin von „Wortmedizin“. Außerdem widmet sie sich täglich der gesunden Kommunikation und wie wir sie erlernen können. Einige wichtige Infos und Tipps dazu hat sie in unserem Interview preisgegeben.

Wie sieht gesunde Kommunikation aus?

sanego: Lassen Sie uns zunächst mit dem Begriff „gesunde Kommunikation“ einsteigen. Wie würden Sie diesen definieren?

Lisa Holtmeier: Gesunde Kommunikation ist weit mehr als höflicher Austausch. Sie ist ein zentraler Gesundheitsfaktor. Sie meint einen respektvollen, klaren, authentischen und achtsamen Umgang mit sich selbst und anderen – verbal wie nonverbal. Ich beschreibe in meinem Buch Wortmedizin, dass gesunde Kommunikation das Potenzial hat, emotionale Belastungen zu reduzieren, psychische Stabilität zu fördern und sogar körperliche Gesundheit positiv zu beeinflussen.

In wissenschaftlicher Hinsicht lässt sich gesunde Kommunikation im biopsychosozialen Modell verorten: Gesundheit wird hier nicht nur als Abwesenheit von Krankheit verstanden, sondern als das Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren. Kommunikation ist die Schnittstelle all dieser Ebenen – sie kann heilen oder krank machen.

Buchcover Wortmedizin
Buchcover Wortmedizin | © Beltz

sanego: Können Sie ein paar Beispiele von gesunder Kommunikation nennen?

Lisa Holtmeier: Ja, gesunde Kommunikation zeigt sich oft in kleinen und wirkungsvollen Alltagssituationen. Sie ist klar, respektvoll und vor allem wertschätzend. Wertschätzung ist ein zentrales Element – denn sie vermittelt Zugehörigkeit, Sicherheit und Anerkennung. In Wortmedizin wird deutlich: Wer sich wertgeschätzt fühlt, erlebt weniger Stress, stärkt seine Resilienz und pflegt gesündere Beziehungen.

Einige Beispiele für gesunde Kommunikation:

  • Eine Führungskraft lädt zu einem Gespräch ein und benennt transparent Thema, Ziel und Beteiligte. Damit reduziert sie Informationsdefizite und zeigt gleichzeitig Respekt gegenüber dem Zeit- und Informationsbedarf des Gegenübers. Beispiel: „Ich möchte morgen 15 Minuten mit Ihnen über das neue Projekt sprechen – es geht um Ihre Rolle im Team.“

  • In einem Konfliktgespräch sagt jemand aufrichtig: „Ich habe den Eindruck, dass wir gerade aneinander vorbeireden.“ – Das ist Metakommunikation und signalisiert: Ich nehme dich ernst und möchte ein gemeinsames Verständnis herstellen.

  • Selbstreflexion mit Selbstachtung: „Ich war in der Situation überfordert.“ – Eine wertschätzende Haltung sich selbst gegenüber verhindert toxische Selbstkritik und fördert psychische Gesundheit.

  • In der Partnerschaft: „Ich brauche gerade Ruhe, es hat nichts mit dir zu tun. Können wir später darüber reden?“ – Diese Formulierung zeigt Abgrenzung ohne Abwertung. Sie schützt die Beziehung vor Missverständnissen und respektiert die Bedürfnisse beider Seiten.

  • Bewusste Wertschätzung im Alltag: „Danke, dass du mir zugehört hast.“ – Solche kleinen Gesten haben laut Studien eine starke Wirkung auf zwischenmenschliches Vertrauen und Wohlbefinden.

Gesunde Kommunikation schafft nicht nur emotionale Sicherheit, sondern senkt nachweislich die Ausschüttung von Stresshormonen und stärkt soziale Bindung.

sanego: Und wie sieht besonders ungesunde Kommunikation aus?

Lisa Holtmeier: Ungesunde Kommunikation geschieht häufig unbewusst. Sie ist nicht zwingend böswillig gemeint, sondern basiert oft auf erlernten Mustern, innerem Stress, mangelnder Selbstreflexion oder emotionaler Überforderung. Dennoch hat sie spürbare und messbare Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit.

Typische Formen ungesunder Kommunikation sind:

  • Informationsdefizite, z. B. durch vage oder unklare Aussagen wie „Wir müssen reden.“ – ohne Kontext oder zeitliche Einordnung. Solche Aussagen aktivieren sofort das Alarmsystem im Gehirn. Betroffene beginnen zu grübeln, entwickeln Worst-Case-Szenarien und geraten in einen Zustand chronischer Anspannung.

  • Passiv-aggressives Verhalten, etwa durch ironische Bemerkungen oder demonstratives Schweigen: „Ist schon okay, mach einfach, wie du meinst …“ – das vermittelt weder Klarheit noch Offenheit, sondern erzeugt Unsicherheit und emotionale Verwirrung.

  • Vorwürfe und pauschale Abwertungen, z. B.: „Du machst immer alles falsch.“ oder „Mit dir kann man einfach nicht reden.“ – Diese Sprache verfehlt nicht nur die sachliche Ebene, sondern greift die Identität an. Derartige Aussagen fördern Schuldgefühle, Scham und Rückzug.

  • Toxische Positivität, wie: „Denk doch einfach positiv!“ – klingt auf den ersten Blick harmlos, ist aber oft eine Abwehr gegenüber echten Gefühlen. Wenn Kummer, Wut oder Angst nicht benannt werden dürfen, entstehen emotionale Stauungen, die langfristig krank machen können.

  • Sich selbst kleinreden oder keine Grenzen setzen, z. B.: „Ist schon gut, ich komm einfach später, wenn du willst …“ – Solche Aussagen deuten auf ein schwaches Selbstwertgefühl hin. Wer sich ständig anpasst, übergeht eigene Bedürfnisse und erschöpft sich emotional wie körperlich.

Wie beeinflusst Kommunikation Ihre Gesundheit?

sanego: Welche gesundheitlichen Folgen kann schädliche Kommunikation haben?

Lisa Holtmeier: Kommunikation ist kein rein kognitiver Vorgang. Sie wirkt tief in Körper und Psyche hinein. Studien aus der Psychoneuroimmunologie und Neurobiologie zeigen deutlich: Unsere Art zu kommunizieren – mit anderen und mit uns selbst – beeinflusst unmittelbar die Aktivität unseres Nervensystems, das Hormonsystem und sogar unser Immunsystem.

Wenn wir in unklaren, übergriffigen, herabwürdigenden oder unausgesprochen belastenden Kommunikationsmustern gefangen sind, wertet unser Gehirn dies nicht nur als „unangenehm“, sondern als Bedrohung. Diese Bedrohung muss nicht physisch sein – sie kann auch sprachlich, emotional oder sozial sein. Unser Gehirn kennt in solchen Momenten keine Unterscheidung: Es reagiert so, als stünde tatsächliche Gefahr bevor.

Die Folge: Das Stresssystem wird aktiviert – insbesondere die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse). Dadurch werden Stresshormone wie Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet. Das ist kurzfristig hilfreich, um etwa mit Konflikten oder Unsicherheit umzugehen. Doch wenn solche Kommunikationsmuster dauerhaft auftreten – etwa durch passiv-aggressives Verhalten, Schweigen, Informationsdefizite oder toxische Kritik – gerät der Körper in einen Zustand chronischer Anspannung.

Die gesundheitlichen Folgen sind messbar und ernstzunehmend:

  • Schlafstörungen

  • Verspannungen

  • Magen-Darm-Probleme

  • ein geschwächtes Immunsystem

  • Konzentrationsprobleme

  • erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen

  • Erschöpfung, Angstzustände, Depressionen

Lisa Holtmeier

ist Kommunikationscoach, Ergotherapeutin und „Wortmedizinerin“. Sie bietet Kurse zu gesunder Kommunikation für Unternehmen, Kliniken und Praxen sowie Privatpersonen an. Außerdem ist sie Speakerin und hat einen eigenen Podcast. Im Februar 2025 erschien ihr Buch „Wortmedizin“ im Beltz Verlag.

Wie können Sie sich eine gesunde Kommunikation angewöhnen?

sanego: Wie wir kommunizieren, lernen wir von Klein auf. Können wir unsere Kommunikation denn einfach ändern?

Lisa Holtmeier: Das ist nicht einfach und gleichzeitig möglich. Kommunikationsmuster entstehen früh im Leben, geprägt durch Erziehung, Vorbilder und Erfahrungen. Sie wirken oft automatisch, sind aber trainier- und veränderbar. Durch Bewusstheit, Reflexion und Übung kann gesunde Kommunikation gelernt werden, ähnlich wie ein Muskel, den man stärken kann.

Entscheidend ist, dass wir unsere inneren Sprachmuster und Kommunikationsgewohnheiten erkennen.

sanego: Wie können wir anfangen unsere Kommunikation zu verändern? Was sind die ersten Schritte?

Lisa Holtmeier: Veränderung beginnt im Kleinen. Ein bewusster Umgang mit Sprache kann viel bewegen, ohne Perfektionsanspruch, sondern durch achtsames Beobachten und einfache Werkzeuge im Alltag.

  • Selbstbeobachtung: Worte, Körpersprache und innere Dialoge bewusst wahrnehmen. Welche Formulierungen tauchen immer wieder auf? Welche Haltung steckt dahinter?

  • Fragen statt interpretieren: Offene Klärung statt eigener Deutung. Ein einfaches „Wie war das gemeint?“ verhindert Grübeln und entlastet das Nervensystem.

  • Metakommunikation: Die Kommunikation selbst zum Thema machen. Sätze wie „Es wirkt so, als würden wir gerade aneinander vorbeireden“ schaffen Verbindung und Orientierung.

  • Reframing: Gedanken in einen neuen Kontext setzen. Aus „Ich bin zu streng“ wird „Ich gebe Struktur und Sicherheit“. Ein Perspektivwechsel, der stärkt.

  • Selbstmitgefühl: Der innere Dialog entscheidet mit über Gesundheit. Eine liebevolle, verständnisvolle Haltung sich selbst gegenüber wirkt beruhigend und stabilisierend – auch körperlich.

Kommunikationsmuster dauerhaft durchbrechen – geht das?

sanego: Wie können wir verhindern, wieder in alte Kommunikationsmuster zu fallen?

Lisa Holtmeier: Alte Muster tauchen vor allem in Stresssituationen immer mal wieder auf. Das ist kein Rückschritt, sondern ein ganz normaler Teil jedes Veränderungsprozesses. Diese automatisierten Reaktionen haben sich oft über Jahre eingeprägt und brauchen Zeit, um sich zu verändern.

Hilfreich ist es, regelmäßige Routinen der Selbstreflexion zu etablieren, etwa durch Journaling, achtsame Tagesrückblicke oder kurze mentale Check-ins. Frühwarnzeichen wie körperliche Anspannung, innere Unruhe oder negatives Gedankenkarussell können Hinweise sein, dass sich ein altes Muster wieder meldet.

Auch das Einholen von Feedback durch vertraute Menschen oder Teams kann dabei unterstützen, blinde Flecken zu erkennen. Kommunikationswerkzeuge wie der Kommunikationssteckbrief helfen, eigene Bedürfnisse sichtbarer zu machen und bewusster zu handeln.

Wichtig bleibt: Mitfühlender Umgang mit sich selbst. Rückfälle sind kein Zeichen des Scheiterns, sondern Ausdruck eines natürlichen Lernprozesses. Entscheidend ist nicht das Vermeiden alter Muster, sondern das Wiedererkennen und der bewusste Umgang damit.

sanego: Ist eine gesunde Kommunikation denn irgendwann verinnerlicht? Oder kann ich auch immer wieder in andere Kommunikationsmuster geraten?

Lisa Holtmeier: Sie kann verinnerlicht werden und wie bei jeder gesunden Gewohnheit braucht es kontinuierliche Pflege. Die Umstände ändern sich, Beziehungen entwickeln sich, neue Herausforderungen entstehen. Gesunde Kommunikation ist also kein Zustand, sondern ein Prozess. Wichtig ist es, eine Haltung zu entwickeln: Achtsam, offen und lernbereit zu bleiben.

Wie verändert gesunde Kommunikation den Alltag?

sanego: Welche Veränderungen kann ich durch eine gesunde Kommunikation wahrnehmen?

Lisa Holtmeier: Gesunde Kommunikation wirkt weit über Worte hinaus. Sie verändert die Qualität von Beziehungen, den Umgang mit sich selbst und spiegelt sich spürbar im Körper und im Alltag wider.

Mögliche Veränderungen:

  • Weniger Stress und körperliche Symptome wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Magenbeschwerden

  • Mehr Selbstwirksamkeit, innere Klarheit und Entscheidungssicherheit

  • Stärkere, stabilere Beziehungen - sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld

  • Erhöhtes Selbstvertrauen und ein wohlwollenderer Umgang mit sich selbst

  • Ein Gefühl von innerer Ruhe, emotionaler Stabilität und Resilienz

  • Verbesserte Konfliktfähigkeit - ohne Eskalation oder Rückzug

  • Gesteigerte Fähigkeit, Grenzen zu setzen und gleichzeitig empathisch zu bleiben

  • Mehr Präsenz in Gesprächen - echtes Zuhören und echtes Gehört-werden

  • Klarere Kommunikation von Bedürfnissen und Erwartungen

  • Weniger Grübeln, Missverständnisse und soziale Spannungen

Hinweis: In diesem Text sind Links zu Amazon enthalten. Erfolgt über diese Links eine Bestellung, erhält sanego eine Provision.

Autoreninformation

Elisabeth Maußner, Medizinische Redakteurin

Elisabeth Maußner

Medizinische Redakteurin

Elisabeth Maußner ist studierte Journalistin und schreibt bei der ärzte.de MediService GmbH & Co. KG seit 2017 zu medizinischen Themen. Ihr Ziel: komplexe Zusammenhänge und wissenschaftliche Hintergründe einfach und für jeden verständlich auszudrücken. Die erfahrene Autorin hat bereits über 400 Artikel zu Gesundheits- und Medizinthemen verfasst, die u.a. auf aerzte.de, sanego.de und arzttermine.de veröffentlicht wurden.

Außerdem durfte sie Erfahrung beim Radio und beim Produzieren von Videos sammeln.

Persönlich interessiert sie sich insbesondere für Kinder- und Frauengesundheit, eine ausgewogene, intuitive Ernährung und die Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Links

Entdecken Sie weiterführende Informationen über die Autorin:

Folgen Sie uns auf Social Media