Wie gut können Sie „nein“ sagen? People Pleasern fällt das eher schwer. Sie möchten es allen recht machen und übergehen dabei oft ihre eigenen Wünsche. Das kann auch gesundheitliche Folgen haben – und den Wunsch wecken, etwas am People Pleasing zu ändern.
Auch Lucinde Hutzenlaub ging es so. Die Autorin wollte nicht mehr für alle anderen perfekt sein, sondern ihr Leben wieder selbst mitbestimmen. Über den Weg dorthin, hat sie ein Buch geschrieben: „Unperfekt ist genau richtig“. Wie Sie das People Pleasing hinter sich lassen konnte und was sie anderen dazu mitgeben möchte, hat Lucinde Hutzenlaub in unserem Interview erklärt.
Definition: Was ist People Pleasing
sanego: Den Begriff „People Pleasing“ liest man gerade überall. Was ist das genau?
Lucinde Hutzenlaub: People Pleasing beschreibt das Bedürfnis, alle Menschen glücklich zu machen – was natürlich niemals gelingen kann – vor allem, weil eine Person dabei oft auf der Strecke bleibt: Man selbst. Vor allem ist es ziemlich anstrengend.
sanego: Gibt es einen positiven Aspekt von People Pleasing, der oft übersehen wird?
Lucinde Hutzenlaub: Es ist natürlich schön, wenn man gemocht wird. Und es ist auch toll, einen Menschen, den man mag, glücklich zu sehen. Aber Zuneigung kann man sich nicht verdienen – und die wirklichen Herzensmenschen mögen einen auch so.
sanego: Anderen Entgegenzukommen muss also nicht immer etwas Schlechtes sein. Woran merke ich, dass das People Pleasing zum Problem geworden ist?
Lucinde Hutzenlaub: Sobald ich mich davon abhängig mache – und zulasse, dass mein Wert von außen bestimmt wird, und ich womöglich leide, wenn ich keine Bestätigung von anderen Menschen bekomme.
Der Weg, um People Pleasing zu beenden
sanego: Was ist der erste Schritt, wenn ich mir das People Pleasing abgewöhnen möchte?
Lucinde Hutzenlaub: Ich glaube, es ist immer gut, sich zu überlegen, was man selbst braucht und was einen glücklich macht. Viele (besonders Frauen) sind ja so sozialisiert, dass sie glauben, egoistisch zu sein, wenn sie sich um sich selbst kümmern. Gesunde Selbstfürsorge ist aber notwendig, um gesund zu sein und zu bleiben. Ich mag das Beispiel aus dem Flugzeug: Man muss sich die Sauerstoffmaske zuerst aufsetzen, um handlungsfähig zu sein und anderen helfen zu können. Alles andere macht überhaupt keinen Sinn. So ist es mit allem. Die Frage: was brauche ich gerade (oder auch: was und wen brauche ich absolut nicht) ist absolut legitim – und hilft vielleicht auch dabei, mal „Nein“ zu sagen.
sanego: Vielleicht können Sie uns kurz durch den weiteren Prozess führen. Wie lange dauert es, bis ich das People Pleasing hinter mir lassen kann und welche Schritte sind dafür nötig?
Lucinde Hutzenlaub: Die gute Nachricht: Man kann es hinter sich lassen, ja. Die schlechte: keiner weiß, wie lange es dauert – und es kann (und wird) immer auch mal „Rückfälle“ geben. Wir sind Menschen, Mütter, Freundinnen, Töchter, Schwestern – Rücksicht nehmen, sich in andere hineinversetzen und Lösungen finden zu können, ist toll. Aber es geht immer um die Balance: Ein bisschen weniger nach anderen schauen, und ein bisschen mehr nach uns selbst. Kleine Schritte. Einmal „nein“ sagen, wenn jemand einen Kuchen backen soll, sich wieder keiner meldet und alle so dankbar sind, dass wir ja doch immer einspringen. Mal das Telefon ausmachen und einfach nicht erreichbar sein. Mal nicht zur Party gehen, weil wir keine Lust haben und genau das sagen. Und spüren, dass die Welt sich weiterdreht.
Was passiert, wenn Sie mit dem People Pleasing aufhören
sanego: Wie reagiert mein Umfeld, wenn ich mit dem People Pleasing aufhöre und wie kann ich mich darauf vorbereiten?
Lucinde Hutzenlaub: Klar wird es immer Menschen geben, denen es nicht gefällt, wenn wir ihnen nicht mehr zur Verfügung stehen oder alles liegen lassen, weil sie uns gerade brauchen. Auszuhalten, dass uns eben nicht jeder mag oder immer toll findet, ist eine - die - Herausforderung für people pleaser. Vielleicht verschwinden dadurch auch Menschen aus unserem Leben. Das ist traurig, aber auch okay. Die, die dann gehen, haben uns sowieso aus den falschen Gründen gemocht. Dafür wird der Respekt bei den anderen wachsen. Ich sage nicht, dass das leicht ist. Aber je öfter man das übt, umso leichter wird es.

People Pleasing und Konflikte
sanego: Beim People Pleasing geht es vor allem darum, Konflikte zu vermeiden. Wie sehen gesunde Konflikte aus?
Lucinde Hutzenlaub: Das People Pleasing fängt ja schon viel früher an. Nämlich da, wo ich versuche, Erwartungen von anderen zu erfüllen, die sie vielleicht noch gar nicht geäußert haben. Vorauszudenken und zu ahnen, was der andere braucht, um sich ja wohlzufühlen. In einer gesunden Partnerschaft, Freundschaft oder auch dem Verhältnis zu Kindern und Eltern passt man sich natürlich an. Und zwar alle Beteiligten. Unterschiedliche Ziele oder Interessen zu haben, ist normal. Wenn immer nur einer nachgibt, ist es das allerdings nicht. Gesund und wirklich zielführend wäre nicht die Vermeidung, sondern die offene Kommunikation der eigenen Bedürfnisse und eine gemeinsame Suche nach dem besten Kompromiss oder Weg für alle.
sanego: Kann ich lernen einen gesunden Konflikt zu führen?
Lucinde Hutzenlaub: Jeder, der etwas lernen möchte, kann das, na klar! Es erfordert den Mut, die eigene Meinung zu äußern. Dabei kann man ja genauso respektvoll, sanft und wertschätzend sein, wie man selbst auch angesprochen werden möchte. Es geht ja nicht nur um das „was“, sondern auch um das „wie“.
sanego: Wie kann ich damit umgehen, wenn ich doch wieder ins People Pleasing verfalle?
Lucinde Hutzenlaub: Am besten liebevoll und mit Humor. Ohne den ist Selbsterkenntnis und Persönlichkeitsentwicklung wirklich extra schwierig.
ist Kommunikationsdesignerin, systemische Coach und Heilpraktikerin. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin hat sie viele Jahre lang Menschen in ihrer eigenen Praxis begleitet. Persönlichkeitsentwicklung, inneres Wachstum, Lebensfreude und individuelle Sinnsuche liegen ihr sehr am Herzen. Das prägt nicht nur ihre Romane und ihren Blog, sondern auch ihr neuestes Buch „Unperfekt ist genau richtig“.
People Pleasing und psychische Probleme
sanego: Können hinter dem People Pleasing auch ernsthafte psychologische Probleme stecken?
Lucinde Hutzenlaub: Ja, definitiv. People Pleasing kann ein Symptom für CO-Abhängigkeiten, ein geringes Selbstwertgefühl, Bindungs- und Angststörungen oder auch für Traumafolgen und vieles mehr sein. Aber nicht jeder, der harmoniebedürftig und hilfsbereit ist, hat automatisch ein psychologisches Problem. Solange das eigene Verhalten nicht belastend ist oder man dabei die eigenen Bedürfnisse ignoriert, ist es ja auch schön, sich um seine Liebsten zu kümmern.
sanego: Oft geht es ja darum, die richtige Balance zwischen den eigenen Wünschen und Bedürfnissen und denen der anderen zu finden. Haben Sie Tipps, wie das gelingen kann?
Lucinde Hutzenlaub: Ich glaube, Zeit für sich selbst zu finden, ist essentiell notwendig. Ich persönlich liebe Sport. Ich gehe joggen, im Sommer Stand-up-Paddeln und mache sehr gerne Yoga. Andere malen, meditieren, schwimmen, tanzen, stricken, sitzen auf dem Balkon oder liegen in der Hängematte irgendwo. Was auch immer es ist, Hauptsache, wir sind ganz bei uns, so dass die Gedanken fließen und wir uns und unsere Bedürfnisse hören und spüren können. Ich habe für mich außerdem festgestellt, dass mich Social Media und Fernsehen von mir selbst ablenken – und habe mir Pausen verordnet. Klappt gut.
sanego: Was würden Sie Betroffenen raten, die ihre Muster erkennen, sich aber noch nicht trauen, etwas zu ändern?
Lucinde Hutzenlaub: Seien Sie weiterhin geduldig, großzügig, liebevoll – mit den anderen – aber auch mit Ihnen selbst. Verwöhnen sie sich dafür, dass Sie so ein wundervoller und freundlicher Mensch sind. Eben dann, wenn es sich gut anfühlt. Und vor allem seien Sie stolz darauf, dass Sie den wesentlichsten und schwersten Schritt schon geschafft haben: Sich selbst einzugestehen, dass Sie etwas ändern wollen.
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