Der Griff zur Allergietablette ist oft die erste Maßnahme, wenn die Augen tränen oder die Nase läuft. Doch Antihistaminikum ist nicht gleich Antihistaminikum. Mit jeder neuen Generation haben sich Wirkung, Verträglichkeit und Alltagstauglichkeit verbessert. Wer die Unterschiede kennt, kann gezielter entscheiden, welches Präparat wann am besten passt. Hier lesen Sie, worauf es bei den verschiedenen Generationen oraler Antihistaminika ankommt – und was sie jeweils besonders macht.
Was ist eine Allergie?
Bei einer Allergie reagiert Ihr Immunsystem übertrieben auf Stoffe, die für andere Menschen gänzlich harmlos sind – etwa Pollen, Hausstaub oder bestimmte Nahrungsmittel. Die Folge sind typische Symptome wie Niesen, Hautreizungen oder Atemprobleme. Doch was passiert dabei eigentlich im Körper? Eine allergische Reaktion entwickelt sich in zwei Schritten:
Sensibilisierung: Beim ersten Kontakt erkennt das Immunsystem den Stoff als „fremd“, bildet passende Antikörper vom Typ IgE und speichert sie. Anzeichen einer Allergie treten dabei noch nicht auf.
Reaktion: Kommt der Körper erneut mit dem Allergen in Kontakt, reagieren die gespeicherten IgE-Antikörper auf bestimmten Abwehrzellen sofort. Sie schütten Botenstoffe wie Histamin aus – das führt zu den typischen Beschwerden wie Niesen, Juckreiz, Hautausschlag oder Husten.
Allergien zählen zu den häufigsten chronischen Erkrankungen: Über 30 Prozent der Erwachsenen und rund 20 Prozent der Kinder sind betroffen. Auslöser gibt es viele – laut Deutschem Allergie- und Asthmabund mehr als 20.000:
Pollen: Gräser, Bäume, Kräuter
Hausstaubmilben: überwiegend ihre Ausscheidungen
Tierhaare: besonders von Katze und Hund
Nahrungsmittel: etwa Nüsse, Milch, Eier, Obst
Insektengifte: Bienen oder Wespen
Kontaktstoffe: Nickel, Duftstoffe, Latex
Allergiebehandlung: Drei Schritte, die helfen
Allergien sollten Sie nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aus einem einfachen Heuschnupfen kann sich bei jeder vierten betroffenen Person ein allergisches Asthma entwickeln. Die Behandlung ruht auf drei Säulen: Auslöser meiden, Ursache behandeln, Symptome lindern:
Auslöser meiden (Allergenkarenz)
Der wichtigste Schritt: den Kontakt mit dem Allergen möglichst vermeiden. Das entlastet den Körper und verhindert neue Reizungen – ganz ohne unerwünschte Begleiterscheinungen.Ursache behandeln (Hyposensibilisierung)
Durch eine Hyposensibilisierung lernt das Immunsystem, das Allergen nicht mehr als Bedrohung wahrzunehmen. Dafür nehmen Betroffene regelmäßig kleine Mengen des Auslösers ein oder erhalten sie als Injektion. Die Therapie erstreckt sich über mehrere Jahre und trägt dazu bei, Allergiesymptome auf lange Sicht zu verringern.Beschwerden lindern
Antihistaminika zum Einnehmen, Nasensprays oder Augentropfen helfen, akute Symptome schnell zu kontrollieren – ergänzend zur Allergenvermeidung oder während der Hyposensibilisierung.
Symptome effektiv lindern mit oralen Antihistaminika
Zur schnellen Linderung allergischer Symptome stehen viele freiverkäufliche Mittel zur Verfügung. Einen wichtigen Platz nehmen dabei orale Antihistaminika ein. Sie kommen seit fast 100 Jahren zum Einsatz und wurden bisher stetig weiterentwickelt. Antihistaminika ähneln dem körpereigenen Botenstoff Histamin, der allergische Reaktionen im Körper steuert. Sie blockieren gezielt die Histamin-H1-Rezeptoren und mildern so Juckreiz, Niesen oder tränende Augen. H1-Antihistaminika lassen sich in drei Generationen einteilen – mit jeweils eigenen Merkmalen in Bezug auf Wirksamkeit und Verträglichkeit:
H1-Antihistaminika der 1. Generation: wirksam, aber müde machend
Die Entwicklung der ersten Antihistaminika in den 1930er-Jahren war ein echter Durchbruch für Menschen mit Allergien. Gleichzeitig offenbarte sich eine Besonderheit: Die Wirkstoffe überwinden die Blut-Hirn-Schranke und wirken dadurch nicht nur antiallergisch, sondern auch im zentralen Nervensystem. Häufig verursacht diese Eigenschaft Müdigkeit, Benommenheit und Konzentrationsstörungen, die den Alltag spürbar beeinträchtigen. Heute finden viele dieser älteren Wirkstoffe vorwiegend bei Schlafstörungen, Übelkeit oder Reisekrankheit Anwendung – bei Allergien kommen sie dagegen kaum noch zum Einsatz.
Dimetinden
Ein typischer Vertreter dieser Wirkstoffgruppe ist Dimetinden. Es wirkt zuverlässig gegen Juckreiz, zum Beispiel bei Nesselsucht, Insektenstichen oder Windpocken im Kleinkindalter. Der sedierende Effekt und das höhere Risiko für unerwünschte Auswirkungen auf Herz-Kreislauf- oder Magen-Darm-Bereich begrenzen jedoch den Einsatz im Alltag.Clemastin
Auch Clemastin zählt zu den Antihistaminika der 1. Generation. Es wirkt stark beruhigend und führt häufig zu ausgeprägter Müdigkeit. Clemastin wird heute vorwiegend in der Notfallmedizin eingesetzt – etwa bei akuten allergischen Reaktionen oder Nesselsucht-Schüben.
Dimetinden und Clemastin eignen sich aufgrund der müde machenden Eigenschaft nicht für die langfristige Behandlung allergischer Beschwerden im Alltag.
Die Blut-Hirn-Schranke wirkt wie ein natürlicher Filter zwischen Blutkreislauf und Gehirn. Medikamente, die diese Schranke überwinden, können direkt im zentralen Nervensystem wirken – gewollt oder als unerwünschter Nebeneffekt.
H1-Antihistaminika der 2. Generation: bewährt und meist gut verträglich
Im Gegensatz zu älteren Wirkstoffen überwinden Antihistaminika der 2. Generation die Blut-Hirn-Schranke nur in sehr geringem Maße. Dadurch bleiben die beruhigenden Begleiterscheinungen weitgehend aus, und die Substanzen gelten als deutlich verträglicher im Alltag. Müdigkeit tritt – wenn überhaupt – nur noch vereinzelt auf:
Cetirizin
Einer der am häufigsten eingesetzten Wirkstoffe der 2. Generation ist Cetirizin. Es wirkt schnell und zuverlässig gegen typische allergische Symptome wie Niesen, Juckreiz oder Hautausschläge, kann in Einzelfällen aber dennoch zu leichter Müdigkeit führen. In solchen Fällen empfiehlt sich die Einnahme am Abend, um Auswirkungen auf den Tag möglichst gering zu halten.Loratadin
Nach der Einnahme wird Loratadin zunächst in der Leber in seine wirksame Form umgewandelt. Dadurch setzt die Wirkung etwas verzögert ein, die Substanz gilt jedoch als besonders mild und gut verträglich.Bilastin
Ein moderneres Antiallergikum innerhalb dieser Klasse ist Bilastin. Es wirkt schnell, verursacht kaum Müdigkeit und wird vom Körper ohne Umwandlung direkt aufgenommen. In klinischen Studien zeigte sich Bilastin als gut verträglich – auch bei längerer Einnahme. Nehmen Sie das Antiallergikum jedoch nicht zusammen mit Nahrungsmitteln, Grapefruit-Saft oder anderen Fruchtsäften ein, da diese die Wirkung von Bilastin verringern können.
Um eine Wirkbeeinträchtigung zu vermeiden, sollten Sie nach der Einnahme von Bilastin eine Stunde warten, bevor Sie Nahrungsmittel oder Fruchtsäfte zu sich nehmen. Wenn Sie diese bereits konsumiert haben, halten Sie zwei Stunden Abstand, bevor Sie Bilastin einnehmen.
Alle drei Wirkstoffe eignen sich gut zur Behandlung von Heuschnupfen, Nesselsucht oder allergischen Hautreaktionen – insbesondere dann, wenn eine Behandlung über den Tag hinweg ohne Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit gewünscht ist.
H1-Antihistaminika der 3. Generation: weniger Wirkstoff bei gleichem Effekt
Antihistaminika der 3. Generation sind gezielte Weiterentwicklungen der 2. Generation. Sie enthalten ausschließlich den wirksamen Teil des Moleküls. Daher benötigen sie nur eine geringe Wirkstoffmenge, um die gleiche antiallergische Reaktion zu erzielen. Gleichzeitig zeigen sie eine sehr gute Verträglichkeit und verursachen in der Regel keine Müdigkeit.
Levocetirizin
Hierbei handelt es sich um die aktive Form von Cetirizin. Die Ursprungssubstanz liegt als sogenanntes Racemat vor – eine Mischung zweier spiegelbildlicher Moleküle. Nur eines davon besitzt antiallergische Eigenschaften. In Levocetirizin ist genau dieses aktive Molekül isoliert, wodurch schon die halbe Dosis ausreicht.Desloratadin
Der aktive Bestandteil von Loratadin ist Desloratadin. Da der Körper diesen Wirkstoff nicht mehr umwandeln muss, setzt die Wirkung schneller ein – ebenfalls bei geringerer Dosierung.
Beide Wirkstoffe sind rezeptfrei erhältlich und eignen sich gut zur Selbstbehandlung leichter allergischer Beschwerden wie Heuschnupfen oder Nesselsucht – ohne die sedierenden Eigenschaften älterer Präparate.
Wichtige Anwendungshinweise für eine sichere Therapie
Dimetinden | Clemastin | Loratadin | Cetirizin | Bilastin | Desloratadin | Levocetirizin | |
Generation | 1 | 1 | 2 | 2 | 2 | 3 | 3 |
Wirkeintritt (in Stunden) | 0,5 | 0,5 bis 4 | 3,4 | 0,7 | 1,3 | 0,5 bis 1,0 | 0,5 bis 0,7 |
Wirkdauer: (in Stunden*) | ca. 8 | 10 bis 12; in manchen Fällen sogar 24 | ca. 24 | > 24 | ca. 24 | > 24 | ca. 24 |
Nebenwirkung: sedierend | ++ | ++ | - | + | + | - | - |
Alter: | ab 1 Jahr | ab 6 Jahren | ab 2 Jahren | ab 2 Jahren | ab 6 Jahren | ab 12 Jahren | ab 6 Jahren |
++ stark -+ schwach - Effekt in der Regel nicht vorhanden; in Einzelfällen aber nicht völlig auszuschließen
* Tabletten/Dragees ohne verzögerte Wirkstofffreisetzung