Trainingspläne, Ernährungsempfehlungen und Leistungserwartungen folgen oft einem linearen, männlich geprägten Modell: gleichbleibende Energielevel, stabile Hormone, tägliche Performance. Doch für menstruierende Frauen sieht die Realität anders aus. Der weibliche Zyklus verändert im Laufe eines Monats nicht nur die Fruchtbarkeit, sondern beeinflusst auch die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit. Warum also nicht das Training an diesen natürlichen Rhythmus anpassen?
Zyklusbasiertes Training verfolgt genau diesen Ansatz: Statt gegen die biologischen Schwankungen zu arbeiten, wird das Training so gestaltet, dass jede Zyklusphase gezielt genutzt wird – für mehr Leistung, weniger Verletzungen und ein besseres Körpergefühl. Dieser individualisierte Trainingsansatz rückt auch im Profisport zunehmend in den Fokus – und findet inzwischen Rückhalt in der Wissenschaft.
Warum der Zyklus im Training mitgedacht werden sollte
Ein gesunder Menstruationszyklus dauert zwischen 21 und 35 Tagen. Im Durchschnitt sind es etwa 28 Tage, unterteilt in vier Phasen. Gesteuert wird dieser Zyklus durch ein fein abgestimmtes Zusammenspiel von Hormonen:
Östrogen: steigert Muskelkraft, Konzentration und Motivation; wirkt stimmungsaufhellend
Progesteron: bereitet den Körper auf eine mögliche Schwangerschaft vor, wirkt beruhigend, aber auch leistungsmindernd
FSH (follikelstimulierendes Hormon) und LH (luteinisierendes Hormon): steuern Reifung der Eizellen und Eisprung
Während Männer hormonell einem stabilen 24-Stunden-Rhythmus folgen, erleben Frauen einen monatlichen Hormonzyklus – mit spürbaren Auswirkungen auf Körper und Psyche. Dennoch ist unser Alltag kaum darauf abgestimmt: Sportwettkämpfe, Arbeitszeiten oder Trainingspläne ignorieren oft diese zyklischen Veränderungen. Zyklusbasiertes Training schafft hier ein Gegengewicht – und sorgt dafür, dass sich Leistung und Wohlbefinden nicht mehr widersprechen müssen.
Die vier Zyklusphasen und ihr sportliches Potenzial
Jede Phase im Zyklus hat ihren eigenen hormonellen Fingerabdruck – und bietet unterschiedliche Trainingsvoraussetzungen. Wer sich danach richtet, kann nicht nur effektiver, sondern auch nachhaltiger trainieren.
1. Menstruation (Tag 1–5)
Östrogen und Progesteron sind auf dem Tiefpunkt. Viele Frauen fühlen sich energielos, gereizt oder haben Schmerzen. Statt sich zu überfordern, lohnt es sich jetzt, auf sanfte Bewegung zu setzen – sie kann nicht nur Krämpfe lindern, sondern auch die Stimmung heben. Empfohlen wird:
Sanftes Yoga
Spaziergänge
Mobility-Übungen
2. Follikelphase (Tag 6–13)
Mit dem Anstieg des Östrogenspiegels kommt die Energie zurück. Der Körper ist jetzt besonders empfänglich für Muskelaufbau, die Regeneration verläuft schneller, die Motivation steigt. Ideale Voraussetzungen für intensive Trainingseinheiten. Empfohlen wird:
Krafttraining
Intervalltraining
Ausdauerläufe
3. Ovulationsphase (ca. Tag 14–16)
Östrogen und Testosteron erreichen ihren Höhepunkt. Viele Frauen erleben jetzt ihr Leistungshoch – fühlen sich leistungsfähig, klar im Kopf und belastbar. Aber Achtung: Die hormonelle Umstellung macht Bänder und Gelenke verletzungsanfälliger. Empfohlen wird:
Maximalkrafttraining
intensive Ausdauereinheiten
4. Lutealphase (Tag 17–28)
Jetzt dominiert Progesteron. Die Körpertemperatur steigt, das Energielevel schwankt – und manche Frauen spüren PMS-Symptome. Statt Höchstleistungen zu fordern, sind hier einfühlsame, moderate Einheiten sinnvoll. Empfohlen wird:
moderates Ausdauertraining
Radfahren, Schwimmen
Dehnübungen und Regeneration
Was sagt die Wissenschaft?
In den letzten Jahren hat sich das Interesse an zyklusbasiertem Training merklich intensiviert. Dabei liefern aktuelle Studien fundierte Hinweise auf den tatsächlichen Einfluss hormoneller Schwankungen auf Trainingseffekt, Regeneration und Verletzungsanfälligkeit. Eine Studie von McNulty et al. (2020) im Sports Medicine belegt: Frauen erzielen in der Follikel- und Ovulationsphase nachweislich bessere Trainingsleistungen. Auch der Muskelaufbau verläuft hier effektiver.
Ergänzt wird das Bild durch eine Studie von Kubica et al. (2023), die Intervalltrainings bei Läuferinnen gezielt auf den Zyklus abstimmte. Nach zwölf Wochen verbesserten sich VO₂max, Regenerationszeiten und subjektives Wohlbefinden – mit messbar besseren Wettkampfresultaten gegenüber der Kontrollgruppe.
Auch der Profisport passt sich an: Teams wie Chelsea FC Women oder die US-Nationalmannschaft setzen gezielt Zyklusdaten ein, um Verletzungen zu vermeiden und Trainingszyklen zu optimieren. Dawn Scott, Head of Performance, nennt die hormonbasierte Trainingsplanung einen „echten Gamechanger“.
Die University of Bath untersuchte 2024 zudem das Verletzungsrisiko in verschiedenen Zyklusphasen – mit dem Ergebnis: In der späten Lutealphase steigt das Risiko für Kreuzbandrisse deutlich an.
Nicht zuletzt verdeutlicht das Internationale Olympische Komitee (IOC) die wachsende Bedeutung des Themas: Ein aktueller Artikel auf Olympics.com von März 2024 zeigt, wie Athletinnen und Verbände das Tabu der Menstruation im Leistungssport brechen. Dies unterstreicht die Tendenz, dass Zyklusphasen künftig stärker in die Leistungsdiagnostik und Trainingsplanung von Athletinnen integriert werden sollten.
Zyklus-Tracking in der Praxis: Digitale Helfer und Tools
Wer seinen Zyklus im Blick behalten will, kann auf smarte Hilfsmittel zurückgreifen – von Apps bis zu medizinisch zertifizierten Sensoren. Empfehlenswerte Tools:
Trackle Zykluscomputer – hormonfrei, medizinisch zertifiziert: Misst nachts die Körperkerntemperatur und erkennt fruchtbare Phasen sowie hormonelle Umstellungen – ideal für Frauen, die Training und Verhütung kombinieren möchten.
Amazfit GTS 3 – mit Zykluskalender: Verbindet Fitnessdaten mit einem übersichtlichen Zyklustracker – perfekt für Alltag und Sport.
Coros Pace 3 – GPS-Multisportuhr mit Zyklusanalyse: Besonders bei Läuferinnen beliebt, da sie Zyklusdaten in die Trainingsplanung einbezieht.
Apps wie Clue, Flo oder FitrWoman bieten zusätzlich phasenbasierte Trainingsempfehlungen und Ernährungstipps – angepasst an den aktuellen Zyklusstatus.
Zyklusbasiertes Training – Gibt es Empfehlungen von Fachgesellschaften?
Auch wenn es noch keine verbindlichen medizinischen Leitlinien gibt, rückt das Thema in den Fokus der Sportmedizin. Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BiSp) begleitet seit 2023 ein Projekt, das zyklusbasiertes Training in unterschiedlichen Disziplinen wissenschaftlich evaluiert. Erste Ergebnisse deuten klar darauf hin, dass individuelle Zyklussteuerung Übertraining verhindern und das Verletzungsrisiko senken kann.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) gibt zwar keine expliziten Leitlinien zu zyklusbasiertem Training heraus, verweist in ihren Empfehlungen jedoch auf die Bedeutung hormoneller Schwankungen im Monatsverlauf und rät, körpereigene Warnzeichen wie Müdigkeit oder Gelenkbeschwerden insbesondere in der Lutealphase ernst zu nehmen.
Fazit: Wenn Hormone den Takt angeben – und wir zuhören
Zyklusbasiertes Training bedeutet, den eigenen Körper besser zu verstehen – und ihm auf Augenhöhe zu begegnen. Studien zeigen: Wer im Einklang mit dem hormonellen Rhythmus trainiert, kann seine Leistung nicht nur verbessern, sondern auch langfristig gesünder bleiben.
Statt gegen den Zyklus zu kämpfen, sollten wir ihn als Kompass zu nutzen. Für Frauen – im Leistungssport, im Fitnessstudio oder im Alltag – bietet diese Form des Trainings eine neue, selbstbestimmte Perspektive. Es ist Zeit, dass Trainingsplanung nicht länger von männlichen Normen ausgeht, sondern den weiblichen Körper ernst nimmt. Denn genau dort beginnt echte Leistungsentfaltung.