Ist der Darm gesund, geht es uns gut. Das gilt natürlich nicht für alle Symptome und Erkrankungen. Doch heute wissen wir, dass der Verdauungstrakt und vor allem die Bakterien im Darm großen Einfluss auf den gesamten Körper haben. Ernährungsmedizinerin und Professorin Dr. Michaela Axt-Gadermann forscht schon seit Jahren auf diesem Gebiet und hat mit Johanna Katzera ein Buch darüber geschrieben. In „Was ist los in meinem Darm“ aus dem südwest Verlag klären die beiden über typische Verdauungsbeschwerden und eine vorbeugende Ernährung auf.
Doch warum haben Mikrobiom und Verdauung eigentlich so einen Einfluss auf unsere Gesundheit? Und wie kann ich sie stärken? Das hat uns Dr. Axt-Gadermann im Interview erklärt.
Was wissen wir über das Mikrobiom?
sanego: Ihr Fachgebiet ist das Mikrobiom. Was weiß die Forschung bisher dazu?
Dr. Michaela Axt-Gadermann: Die Möglichkeiten, das Mikrobiom umfassend zu untersuchen, gibt es seit rund 20 Jahren. In dieser Zeit hat man sehr viele Erkenntnisse gewinnen können und heute gilt es als sicher, dass ein gesundes Mikrobiom eine wichtige Grundvoraussetzung für unsere Gesamtgesundheit ist. Denn das Mikrobiom beeinflusst nicht nur den Darm, sondern zahlreiche Stoffwechselprodukte, die von den Darmbakterien gebildet werden, gelangen durch die Darmwand in die Blutbahn und somit zu fast jeder Zelle und jedem Organ unseres Körpers. Es gibt inzwischen fast kein Krankheitsbild, das nicht auf die eine oder andere Weise durch das Mikrobiom beeinflusst wird.
sanego: Gibt es auch offene Fragen zum Mikrobiom, die noch geklärt werden müssen?
Dr. Michaela Axt-Gadermann: Ja, die gibt es natürlich. Mit jeder neuen Erkenntnis, die die Forschung gewinnt, entstehen auch neue Fragen. Eine der wichtigsten Fragen ist natürlich, was sind die besten Methoden, um das Mikrobiom bei möglichst vielen Menschen in einen guten Zustand zu versetzen, denn das wäre, und darüber herrscht inzwischen kein Zweifel, eine große Chance, vielen „Zivilisationskrankheiten“ wie Diabetes, Übergewicht, Herz-Kreislauferkrankungen, aber auch Allergien und Depressionen vorzubeugen oder diese zu lindern. Und der Darm nimmt sogar Einfluss auf unser Gehirn und spielt eine Rolle bei Depressionen, Ängsten und mangelnder Stressresistenz. Wir können mit probiotischen Bakterien und präbiotischen Ballaststoffen, die als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich sind, schon eine ganze Menge erreichen, aber wir können damit noch lange nicht alle Bakterien zuführen, die für unser Mikrobiom wichtig sind.
ist Ernährungs- und Sportmedizinerin, Dermatologin sowie Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg. Dort erforscht sie unter anderem den Zusammenhang zwischen Darmbakterien und Gesundheit. Außerdem hat sie mehrere Bücher über Ernährungsmedizin geschrieben, darunter „Der neue Fasten-Code“, „Schlank mit Darm“ und „Was ist los in meinem Darm“.
Gesundes und ungesundes Mikrobiom
sanego: Wie sieht ein gesundes Mikrobiom aus? Was sollte ich dafür tun?
Dr. Michaela Axt-Gadermann: Es gibt nicht das eine gesunde Mikrobiom, sondern man kann mit verschiedenen Mikrobiomzusammensetzungen gesund leben. Es gibt aber ein paar Parameter, die ein intaktes Mikrobiom ausmachen. Besonders wichtig ist Artenvielfalt. Unser Mikrobiom ist ein Ökosystem und ähnlich wie in anderen Biotopen ist auch im Darm Vielfalt wichtig. Je mehr unterschiedliche Bakterienstämme sich im Darm nachweisen lassen, desto besser kann das Mikrobiom in der Regel seine Aufgaben erfüllen. Daneben sollten bestimmte Bakterien, zum Beispiel solche, die Entzündungen fördern, nur in geringen Mengen vorhanden sein und das Mikrobiom sollte ausreichend kurzkettige Fettsäuren produzieren können.
Mit dem Lebensstil können wir eine ganze Menge für unser Mikrobiom tun. Die Ernährung spielt dabei eine ganz zentrale Rolle. Diese sollte ballaststoffreich und naturbelassen sein, also viel Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchte, Nüsse und Mandeln enthalten. Eine kürzlich durchgeführte Studie konnte nachweisen, dass Mandeln das Darmmikrobiom verbessern können, indem sie die wichtige Artenvielfalt erhöhen und gleichzeitig die relative Menge an potenziell schädlichen Bakterien verringern. Auch Kaffee oder grüner Tee wirken sich günstig auf Bakterienvielfalt und Zusammensetzung aus.
sanego: Woran merke ich, dass etwas mit meinem Mikrobiom nicht stimmt?
Dr. Michaela Axt-Gadermann: Bei Störungen des Mikrobioms treten häufig Darmbeschwerden wie Bauchschmerzen, Stuhlunregelmäßigkeiten oder Blähungen auf. Viel bedeutender sind aber die Beschwerden, die das Mikrobiom außerhalb des Verdauungstraktes verursachen kann. Die Bakterien im Darm können, je nach Zusammensetzung das Risiko für bestimmte Erkrankungen senken oder erhöhen. Dazu zählen unter anderem Übergewicht, Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Hauterkrankungen wie Akne oder Neurodermitis, Allergien und Autoimmunerkrankungen, Fettlebererkrankungen, Demenz oder Depressionen. Die Liste ließe sich noch deutlich erweitern. Man sollte immer dann hellhörig werden, wenn chronische Erkrankungen zusammen mit Beschwerden des Verdauungstraktes auftreten. Dann kann tatsächlich das Mikrobiom ursächlich für die Beschwerden sein.
sanego: An wen kann ich mich wenden, wenn ich Rat und Hilfe zum Thema Mikrobiom suche?
Dr. Michaela Axt-Gadermann: Das kann man nicht generell sagen, denn es gibt Mediziner, die sich gut mit dem Mikrobiom auskennen, andere können dazu gar nichts sagen, da sie sich nicht damit beschäftigen oder dem Thema sogar eher ablehnend gegenüberstehen. Oft muss man selbst aktiv werden und einfach mal testen, ob eine darmfreundliche Ernährung, mehr Bewegung oder auch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln die Beschwerden lindern kann. Wichtig ist da aber zu bedenken, dass man etwas Geduld mitbringen muss. Mindestens zwei bis drei Monate muss man ein Probiotikum, im Idealfall kombiniert mit präbiotischen Ballaststoffen, einnehmen, bis sich das Mikrobiom verändert und sich positive Effekte zeigen. Und die Bakterien sollten entsprechend hoch dosiert sein, also mindestens 5, besser 10 oder 20 Mrd. Bakterien pro Tagesdosis und möglichst viele unterschiedliche Stämme enthalten.

Was beeinflusst die Darmgesundheit?
sanego: In Ihrem neuen Buch “Was ist los mit meinem Darm?” geht es um die Darmgesundheit. Gibt es noch weitere Aspekte neben dem Mikrobiom, die diese beeinflussen?
Dr. Michaela Axt-Gadermann: In dem Buch geht es nicht ausschließlich um das Mikrobiom, sondern um den gesamten Verdauungstrakt, zu dem unter anderem auch Magen, Bauchspeicheldrüse, Leber und Gallenblase gehören. Ein gesunder Lebensstil, mit einer ausgeogegen Ernährung und einem vernünftigen Umgang mit Genussmitteln, aber auch regelmäßige Entspannungsphasen und ausreichend Bewegung wirken sich nicht nur günstig aufs Mikrobiom aus, sondern fördern auch die Gesundheit der anderen Organe. Im Buch geht es deshalb auch darum, wie die anderen Verdauungsorgane gesund gehalten werden können oder was bei Problemen helfen könnte.
sanego: Bewegung und Aktivität sind wichtige Aspekte bei der Darmtätigkeit. Warum spielen Sie so eine große Rolle?
Dr. Michaela Axt-Gadermann: Regelmäßig ausreichend Bewegung leistet einen wichtigen Beitrag für unsere Gesundheit. Und inzwischen kennt man mehrere Mechanismen, über die Bewegung seine Wirkung entfaltet. Den meisten ist klar, dass Bewegung die Durchblutung aller Organe verbessert, Knochen und Muskulatur stärkt. Weniger bekannt ist seine Wirkung auf Darm und Mikrobiom. Wenn wir uns regelmäßig bewegen, wird der Darm aktiviert und die Verdauung kommt in Schwung. Das ist eine viel bessere Maßnahme, um die Verdauung bei Stuhlverstopfung in Ganz zu setzen, als die Verwendung von Abführmitteln.
Bewegung hat zudem einen eindeutig positiven Einfluss auf unser Mikrobiom. Studien zeigen, dass nicht nur Sportler, sondern auch Büroangestellte davon profitieren: Bewegten die sich acht Wochen lang täglich eine halbe Stunde mehr, wurde ihr Mikrobiom artenreicher. Kehrten sie jedoch zu einem bewegungsarmen Lebensstil zurück, nahm diese Vielfalt nach wenigen Wochen wieder ab. Kontinuität ist also entscheidend.
Und seit kurzem ist auch bekannt, dass Muskeln nicht nur wichtig sind für Bewegung, sondern dass sie auch mehr als ein Dutzend Botenstoffe, so genannte Myokine, produzieren. Diese Myokine wirken sich sehr günstig auf unsere Gesundheit, auch die des Darms, aus, können Entzündungen aktivieren und den Stoffwechsel beeinflussen.
sanego: Worauf sollte ich in Sachen “Sport und Darm” besonders achten?
Dr. Michaela Axt-Gadermann: Um mit Bewegung etwas für den Darm zu tun, sind keine besonderen Sportarten oder Kenntnisse notwendig. Flotte Spaziergänge, Wandern, Radfahren oder Schwimmen reichen aus. In der bereits erwähnten Studie ließen sich bei Büroangestellten mit überwiegend sitzender Tätigkeit bereits durch täglich einen 30-minütigen Spaziergang ausgesprochen günstige Effekte auf das Mikrobiom nachweisen. Wichtiger als die Sportart selbst ist Regelmäßigkeit und deshalb ist es wichtig, dass man auch eine Sportart findet, die man gerne macht.
sanego: Welche Tipps sind für einen gesunden Darm noch wichtig?
Dr. Michaela Axt-Gadermann: Kaffee! Kaffee galt lange als Genussmittel, dass man nur gelegentlich zu sich nehmen sollte. Doch heute wissen wir, dass Kaffee ein durch und durch gesundes Getränk ist. In Bezug auf die Gesundheit des Verdauungstraktes wissen wir heute, dass regelmäßiger Kaffeegenuss das Risiko einer Fettlebererkrankung deutlich senken kann. Und auch das Mikrobiom wird gesünder und vielfältiger, wenn wir regelmäßig rund 3 Tassen Kaffee pro Tag trinken.
Zudem nehmen wir nützliche Bakterien nicht nur über die Nahrung oder mit Nahrungsergänzungsmitteln auf, sondern auch aus unserer Umwelt. Soziale Kontakte, Händeschütteln, Umarmen oder Küssen sorgt deshalb für einen guten Austausch meist nützlicher Bakterien. Und auch der Aufenthalt in einer artenreichen Umgebung wie etwa einem Mischwald, sorgt dafür, dass wir gesunde Bakterien aufnehmen, die dann unser Darm- aber auch das Hautmikrobiom gesünder machen.
Und weniger Hygiene. Die ist in bestimmten Berufen unerlässlich und war während der Corona-Pandemie wichtig. Im Alltag haben desinfizierende Reinigungsmittel im Haushalt aber nichts zu suchen, denn eine zu sterile Umgebung fördert die Entstehung von Allergien und Autoimmunerkrankungen.
Was tun Sie selbst für einen gesunden Darm?
sanego: Was tun Sie selbst in Ihrem Alltag für einen gesunden Darm?
Dr. Michaela Axt-Gadermann: Süßstoffe habe ich schon seit Jahren konsequent vom Speiseplan gestrichen und ich versuche mich ballaststoffreich und ausgewogen zu ernähren und weitgehend auf Fertiggerichte zu verzichten. Man kann sagen, wenn man überwiegend Nahrungsmittel isst, für die NICHT geworben wird, ernährt man sich wahrscheinlich gesund. Natürlich gibt es auch immer mal wieder Ausnahmen, aber das ist gar kein Problem, wenn die Ernährung grundlegend ok ist. Und das schöne ist ja, dass man für ein gesundes Mikrobiom abwechslungsreich essen muss und sich da auch an den Vorlieben orientieren kann. Ich trinke, wenn ich im Homeoffice arbeite, eine große Kanne grünen Tee und gerne auch Kaffee und mache mehrmals pro Woche Sport und nehme auch regelmäßig pro- und präbiotische Nahrungsergänzungsmittel.