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/ Selbstheilung: Warum Akzeptanz stärker als Kämpfen macht. Psychologin Marie Ehlers im Interview

Selbstheilung: Warum Akzeptanz stärker als Kämpfen macht. Psychologin Marie Ehlers im Interview

Von: Elisabeth Maußner

Veröffentlicht: 05.05.2025

Lesezeit: 5 Min.

Mein Körper | Tipps | Patientenwissen

Ein Mann sitzt auf einer Waldlichtung im hohen Gras und meditiert.
Sich selbst und die Situation annehmen wie sie ist, ist ein wichtiger Schritt zur Heilung. | © maxpetrov - stock.adobe.com

Es gibt Momente, da ist plötzlich alles anders. Nach einer Krebsdiagnose zum Beispiel, wie sie Marie Ehlers erfahren hat. Plötzlich stand die Psychologin vor einer großen mentalen Herausforderung: Wie sollte sie mit diesem Schicksalsschlag umgehen?

Ihre Antwort darauf: Akzeptanz.  Für Marie Ehlers war das der erste Schritt, um wieder Freude, Zuversicht und psychische Heilung in ihr Leben zu lassen. Wie ihr das genaue gelungen ist und welche psychologischen Konzepte dahinterstecken, hat sie in „Radikale Akzeptanz“ aus dem arkana Verlag niedergeschrieben.

In unserem Interview erklärt sie, wie das Prinzip der Radikalen Akzeptanz funktioniert.

Warum Akzeptanz ein wichtiger Schritt ist

sanego: Sie sagen, zur Heilung gehört auch Akzeptanz der Situation. Was genau ist mit Akzeptanz gemeint?

Marie Ehlers: Etwas zu akzeptieren bedeutet, die Realität so anzunehmen, wie sie ist – ohne Widerstand, ohne Verdrängung. Denn wenn wir unsere Realität ablehnen, verstärken wir das Leid oft, da wir nun gegen die Situation und unseren inneren Widerstand ankämpfen – und das kostet viel Kraft. Wenn wir die Dinge aber so annehmen, wie sie sind, ermöglichen wir uns eine innere Ruhe und werden so handlungsfähig.

sanego: Warum ist Akzeptanz so ein wichtiger Schritt? Welche Folgen hat es, wenn wir eine Situation nicht annehmen können?

Marie Ehlers: Heilung beginnt, wenn wir aufhören, gegen das zu kämpfen, was ist. Ohne Akzeptanz bleiben wir in dem Schmerz, in der Schuld, in der Verweigerung stecken, denn der innere Frieden beginnt dort, wo unser innerer Widerstand endet. Akzeptanz hat viel mit Loslassen zu tun, denn wenn wir die Dinge nicht annehmen können, dann halten wir an dem Schmerz, an der Vergangenheit und an Illusionen fest und so entsteht ein innerer Konflikt, der uns emotional und körperlich sehr erschöpfen kann.

sanego: Welche psychologischen Grundlagen stecken hinter Ihrem Konzept der "radikalen Akzeptanz“?

Marie Ehlers: Das Konzept stammt aus der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) und es verbindet Achtsamkeit mit tiefer Selbstannahme. Es geht darum, vollständig im Hier und Jetzt zu sein – mit allem, was da ist – auch dem Schmerz. Ohne Flucht. Ohne Urteil.

sanego: Macht diese Akzeptanz mich auch resilienter für kommende Herausforderungen?

Marie Ehlers: Ja, absolut. Denn wenn du lernst, Dinge zu halten, anstatt sie wegzuschieben, entwickelst du eine innere Stärke. So wirst du beweglicher im Umgang mit Krisen und vertraust mehr darauf, dass du durch schwierige Situationen gehen kannst, ohne direkt von ihnen umgehauen zu werden.

Buchcover Radikale Akzeptanz
Buchcover Radikale Akzeptanz | © arkana Verlag

Wie kann Akzeptanz gelingen?

sanego: „Sich selbst und die Situation so annehmen, wie sie sind.“ Das klingt einfacher, als es ist. Wo kann ich anfangen, wenn ich zu mehr Akzeptanz kommen möchte?

Marie Ehlers: Selbstannahme und die Annahme einer Situation sind unmittelbar miteinander verbunden. Denn wenn ich mich selbst annehme – mit all meinen Gefühlen, Grenzen, Reaktionen – dann wird es mir auch leichter fallen, die Realität anzunehmen, wie sie gerade ist. Nicht, weil sie leicht ist, sondern weil ich mir erlaube, echt zu ihr zu sein. Ohne mich dafür zu verurteilen. Ich kann in so einer Situation zum Beispiel innerlich einen Schritt zurücktreten, tief atmen und mir sagen: „Es ist in Ordnung, wie es gerade ist.“ Das kann Ruhe ins System bringen und so kann ein neuer, liebevollerer Blick entstehen.

sanego: Was kann ich tun, wenn ich nie gelernt habe, Gefühle zuzulassen und zu ergründen?

Marie Ehlers: Fange sanft an – du musst nicht sofort alles auf einmal fühlen. Vielleicht nimmst du dir nur ein paar Minuten am Tag und gehst in die Stille und schaust, was da ist. Deine Gefühle sind immer für dich und haben eine Botschaft für dich. Hör mal genau hin und erkenne, was sie dir sagen wollen. Gib ihnen den Raum, welchen sie brauchen, damit sie sich wieder verabschieden können.

sanego: Welche Rolle spielt bei der Akzeptanz der Druck von außen? Wie kann ich mich von den Erwartungen lösen, die Familie und Bekannte, aber vielleicht auch Fremde an mich haben?

Marie Ehlers: Die Erwartungen von anderen können uns von uns selbst entfernen. Um wieder eine tiefe Verbindung zu sich zu entwickeln, dürfen wir auf unsere Bedürfnisse schauen und sie stillen. Wenn wir ständig gegen unsere tiefsten Wünsche und Empfindungen handeln, lassen wir einen Kampf gegen uns selbst aufkommen, den wir nur verlieren können. Frage dich also, was DU wirklich willst und brauchst – ganz unabhängig von den anderen. Erlaube dir, dich von den Erwartungen zu lösen, denn du darfst anders sein.

Marie Ehlers

ist Psychologin (Master of Science in Psychology, California Coast University) mit eigener Praxis in Hamburg. Neben den Emotional Freedom Techniques und Hypnose beschäftigt sie sich vor allem mit Selbstwert und Mindset. Dafür nutzt sie auch ihren Instagram-Kanal mind.corner.

Wie passen Akzeptanz und Veränderung zusammen?

sanego: Führt radikale Akzeptanz nicht dazu, dass ich mich gar nicht mehr dafür einsetze, Situationen zu verändern? Nehmen wir zum Beispiel den Klimawandel oder eine Beziehung, die mich unglücklich macht.

Marie Ehlers: Radikale Akzeptanz bedeutet nicht, dass du einfach alles hinnimmst und nichts mehr verändern brauchst. Ganz im Gegenteil: Die Akzeptanz schafft erst die Grundlage für echte Veränderung, denn wenn ich die Realität klarsehe – ohne sie schön zu reden, ohne Widerstand – dann kann ich bewusst entscheiden, was ich brauche und was mir wichtig ist. Beim Klimawandel bedeutet dies, dass ich mir bewusst darüber werde, wie ernst es ist und dass mir die Situation eventuell Angst bereitet. Und genau daraus kann dann ein kraftvolles Handeln entstehen, denn das entwickelt sich durch Klarheit, nicht durch Verdrängung. In schmerzvollen Beziehungen bedeutet Akzeptanz nicht, dass du bleiben musst, sondern dass du erkennst, dass du leidest und aufhörst, dies kleinzureden. So kannst du deine Gefühle ernst nehmen und aktiv werden.

sanego: Ist mit der Akzeptanz die Heilung abgeschlossen?

Marie Ehlers: Heilung ist kein Ziel, das man irgendwann erreicht und alles ist gut. Sie ist ein fortlaufender Prozess, der sich durch das gesamte Leben zieht, genauso wie die Akzeptanz. Es gibt Momente, in denen wir klarer sehen, leichter atmen und dann gibt es Momente voller Rückschritte, alter Muster, neuer Wunden – all das gehört zum Menschsein dazu und das ist auch vollkommen okay so. Durch die Akzeptanz können wir diesen Dingen anderes begegnen und sie als Teil unseres Lebens betrachten und ihnen einen Platz zuweisen, der nicht mehr so bedrohlich ist.

Autoreninformation

Elisabeth Maußner, Medizinische Redakteurin

Elisabeth Maußner

Medizinische Redakteurin

Elisabeth Maußner ist studierte Journalistin und schreibt bei der ärzte.de MediService GmbH & Co. KG seit 2017 zu medizinischen Themen. Ihr Ziel: komplexe Zusammenhänge und wissenschaftliche Hintergründe einfach und für jeden verständlich auszudrücken. Die erfahrene Autorin hat bereits über 400 Artikel zu Gesundheits- und Medizinthemen verfasst, die u.a. auf aerzte.de, sanego.de und arzttermine.de veröffentlicht wurden.

Außerdem durfte sie Erfahrung beim Radio und beim Produzieren von Videos sammeln.

Persönlich interessiert sie sich insbesondere für Kinder- und Frauengesundheit, eine ausgewogene, intuitive Ernährung und die Digitalisierung im Gesundheitswesen.

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