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„SkinnyTok“: Wenn gefährliche Schlankheitsideale zum Trend werden

Von: Tamara Todorovic

Veröffentlicht: 04.06.2025

Lesezeit: 5 Min.

Psychologie | Tipps | Diagnose

Eine Frau sitzt mit zusammengeschlagenen Armenauf dem Fußboden ihrer Küche. Vor ihr befindet sich eine Waage und ein Metermaß.
Zwischen Likes und Diätvideos: Der TikTok-Trend SkinnyTok gefährdet das Körperbild und die Gesundheit junger Menschen. | © Olja Reka - stock.adobe.com
Update: #skinnytok verboten?

Nach Druck aus der EU hat TikTok den Hashtag #skinnytok weltweit in den Suchergebnissen blockiert. Damit ist die Reichweite stark eingeschränkt und die Hashtag-Seite gesperrt. Allerdings sind Videos mit dem Hashtag weiterhin online und können gefunden werden, zum Beispiel über andere Hashtags, die For You Page oder Erwähnungen in anderen Videos.
(06.06.2025)

Ein TikTok-Trend gibt Anlass zur Sorge: Unter dem Hashtag #SkinnyTok verbreiten sich Inhalte, die beim Abnehmen unterstützen sollen. Was auf den ersten Blick nach harmloser Körpertransformation aussieht – Übergewicht schadet schließlich der Gesundheit – entpuppt sich bei näherem Hinsehen als hochproblematischer Trend, der vor allem junge Menschen gefährden kann. Viele der Videos glorifizieren extreme Schlankheit und verharmlosen Essstörungen.

Doch worum geht es genau – und was sollten Angehörige, Eltern und medizinisch Interessierte wissen, um sensibel auf frühe Warnzeichen zu reagieren?

Was ist „SkinnyTok“?

Der Begriff „SkinnyTok“ setzt sich aus „skinny“ (englisch für „dünn“) und „TikTok“ zusammen – der Social-Media-Plattform, die insbesondere von Jugendlichen und jungen Erwachsenen genutzt wird. Unter diesem Hashtag finden sich Videos, die scheinbar motivierend auf Gewichtsverlust abzielen, in Wahrheit aber häufig bedenkliche Botschaften transportieren:

  • Kalorienarme „What I eat in a day-Videos mit teils unter 300 Kalorien am Tag

  • sogenannte „Body Checks“, bei denen sich Nutzer:innen möglichst dünn präsentieren

  • verharmlosende oder sogar romantisierende Aussagen wie: „Dein Magen knurrt nicht – er applaudiert dir.“

  • Challenges, die extreme Diäten oder Fastenzeiten propagieren

Was als Körperinspiration („Thinspo“) beginnt, kann schnell zur gefährlichen Spirale werden – besonders für emotional instabile Jugendliche.

Warum diese Inhalte so gefährlich sind

Auf TikTok entscheiden Algorithmen, welche Inhalte verstärkt angezeigt werden. Wer sich für Diäten oder Fitness interessiert, bekommt automatisch mehr davon – auch radikalere Varianten. Für Menschen mit geringem Selbstwertgefühl, Essstörungstendenzen oder psychischer Belastung kann sich so ein problematischer Sog entwickeln, der sich unbemerkt verstärkt.

Besonders gefährlich: TikTok ist auf Schnelligkeit und Emotion ausgelegt. Inhalte werden in Sekunden bewertet – per Like, Share oder Kommentar. Zwischen Realität und digitaler Verzerrung verschwimmen die Grenzen. Das kann gesundheitliche Folgen haben:

Warum vor allem junge Frauen gefährdet sind

Essstörungen wie Magersucht (Anorexia nervosa) oder Bulimie (Bulimia nervosa) betreffen zwar Menschen jeden Geschlechts und Alters – doch besonders gefährdet sind Mädchen und junge Frauen. Das liegt an einer Vielzahl psychologischer, sozialer und biologischer Einflussfaktoren, die gerade in der Jugendzeit aufeinandertreffen.

Die Pubertät ist eine Phase tiefgreifender Veränderungen: Körper, Gefühle und das Selbstbild wandeln sich, gleichzeitig nimmt die Außenwahrnehmung stark an Bedeutung zu. Gerade junge Frauen erleben in dieser Zeit häufig einen intensiven Wunsch nach Zugehörigkeit und Anerkennung. Hinzu kommt, dass das äußere Erscheinungsbild bei Mädchen und Frauen gesellschaftlich oft stärker bewertet wird als bei Jungen – Schönheit und Schlankheit gelten vielfach als Maßstab für sozialen Status, Erfolg und Selbstwert. Wenn dann noch die emotionalen Bedürfnisse auf ein digitales Umfeld treffen, das Schlankheit als Ideal inszeniert, kann das zu einem gefährlichen Nährboden für Essstörungen werden.

Besonders anfällig sind viele Mädchen für:

  • den ständigen Vergleich mit Influencerinnen, Models oder Gleichaltrigen

  • den Druck, gesellschaftlichen oder medialen Schönheitsidealen zu entsprechen

  • das Bedürfnis nach Kontrolle in einer zunehmend komplexen und überfordernden Welt

  • Likes und Anerkennung, die an äußere Merkmale wie Gewicht oder Aussehen geknüpft sind

Was von außen wie ein Wunsch nach „Fitsein“ oder Selbstoptimierung wirkt, kann sich im Inneren als Versuch entpuppen, mit Stress, Selbstzweifeln oder fehlender emotionaler Sicherheit umzugehen. In dieser psychischen Konstellation kann ein einziges TikTok-Video mehr bewirken als ein klärendes Gespräch im Elternhaus. Essstörungen sind somit weniger Ausdruck von Eitelkeit als von inneren Konflikten – sie sind psychische Erkrankungen mit ernstzunehmendem Leidensdruck. Die gute Nachricht: Mit dem richtigen Umfeld, frühzeitiger Intervention und therapeutischer Hilfe sind sie behandelbar.

Fakten zur Verbreitung von Essstörungen

Laut dem Robert Koch-Institut zeigt rund ein Drittel der Mädchen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren Anzeichen einer Essstörung. Zwar sind auch Jungen betroffen, jedoch deutlich seltener. Die Zahl stationärer Behandlungen nimmt insgesamt zu: Allein im Jahr 2022 wurden in Deutschland über 15.000 Fälle dokumentiert – mit einer vermutlich deutlich höheren Dunkelziffer. Eine besondere Rolle spielt dabei die Klinik am Korso in Bad Oeynhausen: Sie ist europaweit die einzige Fachklinik, die sich ausschließlich auf Essstörungen spezialisiert hat und behandelt jährlich rund 500 bis 600 Patienten und Patientinnen.

Was Angehörige tun können

Essstörungen entwickeln sich meist schleichend und bleiben lange unbemerkt. Doch es gibt Anzeichen, auf die man achten kann – und es gibt Wege, wie Sie als Angehörige oder Bezugsperson aktiv werden können:

  • Sensibel beobachten: Achten Sie auf auffälliges Essverhalten, übermäßigen Sport, häufige Gewichtskontrollen oder negatives Körper-Selbstbild.

  • Wertfrei ins Gespräch gehen: Formulieren Sie Sorgen ohne Vorwürfe. Ziel ist es, Vertrauen aufzubauen – nicht Druck zu erzeugen.

  • Frühzeitig Hilfe anbieten: Fachliche Unterstützung durch Hausärzte und Hausärztinnen, Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen oder Beratungsstellen ist wichtig – je früher, desto besser.

  • Medienkompetenz fördern: Sprechen Sie mit Jugendlichen über Inhalte auf TikTok. Welche Influencer:innen mögen sie? Wie echt wirken deren Körper? Was wird mit Likes belohnt?

Unabhängige Anlaufstellen & Beratungsangebote

Für alle, die sich Sorgen um Angehörige machen oder Orientierung suchen, gibt es Hilfe:

  1. BZgA – Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

    • Umfangreiche Informationen zu Essstörungen und präventiven Maßnahmen.

    • Online-Beratungsangebote, Selbsttests und Hinweise für Angehörige.

  2. ANAD e.V. – Hilfe bei Essstörungen

    • Seit 1984 aktiv in der Beratung und Betreuung von Menschen mit Essstörungen.

    • Bietet telefonische und Online-Beratung sowie Selbsthilfegruppen an.

  3. Bundesfachverband Essstörungen (BFE)

    • Fachverband mit Netzwerk aus qualifizierten Einrichtungen, Selbsthilfegruppen sowie Therapeuten und Therapeutinnen.

    • Viele Informationen über Behandlungswege und Anlaufstellen.

  4. Telefonseelsorge (auch bei seelischer Belastung durch Social-Media-Inhalte)

    • Rund um die Uhr erreichbar, anonym und kostenfrei – auch bei Krisen durch Medienkonsum oder Körperbild-Problemen.

    • Telefonnummer: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222

  5. Nummer gegen Kummer (für Kinder, Jugendliche & Eltern)

    • Speziell für junge Menschen, die unter Druck stehen oder sich durch Social Media wie TikTok verunsichert fühlen, aber auch für Eltern, die besorgt über das Verhalten ihrer Kinder sind.

    • Telefonnummer: 116 111 (Mo–Sa, 14–20 Uhr)

Fazit: Hinschauen statt scrollen

Essstörungen sind keine Modeerscheinung – sie sind lebensbedrohliche Erkrankungen. Social-Media-Trends wie „SkinnyTok“ senken oft die Hemmschwelle, sich riskantem Verhalten hinzugeben. Deshalb braucht es Menschen, die hinschauen, Fragen stellen, begleiten – und helfen.

Denn hinter einem scheinbar harmlosen Like kann ein junger Mensch stehen, der bereits still leidet. Oder bald nicht mehr isst.

Autoreninformation

Tamara Todorovic, Medizinische Redakteurin

Tamara Todorovic

Medizinische Redakteurin

Tamara Todorovic studierte Germanistik und English & American Studies. Während dieser Zeit arbeitete sie beim Jugendmagazin des Franken Fernsehens, einem Hörfunksender der Mediaschool Bayern, sowie Deutschlands führendem Medienunternehmen für Gaming- und Hardware-Trends.

Anschließend absolvierte sie ihr Volontariat bei unternehmer.de. Seit April 2021 ist sie bei der ärzte.de MediService GmbH & Co. KG, zu der sanego.de gehört, als Medizinische Redakteurin tätig und auch für den Bereich Content Commerce zuständig.

Während Tamaras Schulzeit im sozialen Zweig einer Fachoberschule kristallisierte sich ihr Interesse für Psychologie und Pädagogik heraus. Ihre schulischen Praktika absolvierte sie in den Dr. Erler Kliniken Nürnberg, bei der Nürnberger Tafel, in Kindergärten sowie in einem Pflegeheim. Ihr fachliches Wissen sowie diese Praxiserfahrung im sozialen Bereich gibt sie am liebsten in Artikeln rund um das Thema mentale Gesundheit zum Besten.

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