Zu einem Medizinstudium gehören auch traumatische Erlebnisse. Es war im 6. Semester, Kursus der klinischen Chemie, früher Nachmittag, ca. 90 min nach dem Mittagessen. Wir mussten uns gegenseitig Blut abnehmen und untersuchten das Blut mit verschiedenen Labortechniken. Beim ersten Blick nach dem Zentrifugieren hatten alle Proben das gleiche Profil: unten ca. 40 % des Volumens rötlich dunkel, die Ansammlung aller Blutkörperchen und darüber das Serum, klare Flüssigkeit, leicht gelblich. Aber bei genauer Betrachtung war das Serum bei der Hälfte aller Proben eher trübe und zeigte außerdem oben einen ca. 5mm breiten weißlich-grauen Fettpfropf. Zwei dieser Proben waren unsere. Eine kurze Umfrage in der Gruppe bestätigte die böse Vermutung: alle Kommilitonen und Kommilitoninnen mit dem trüben Serum und Fettpfropf hatten das leckere Hähnchen mit Pommes in der Mensa gegessen. Und uns wurde schlagartig klar, dass alles, was wir essen, 1-2h später in Molekülgröße durch alle Teile unseres Körpers gepumpt wird, in diesem Fall alte Fettpartikel durch unsere Nieren, Leber, Lunge, Herz und am schlimmsten: durch unser Gehirn.
Seitdem sind 37 Jahre vergangen, wir haben uns seither viel mit Ernährung beschäftigt, sind aber weder Vegetarier noch Veganer geworden. In der Kölner Klinik von Prof. Dr. Limmroth werden pro Jahr 1300-1400 Schlagfälle behandelt, davon 10 % bei Menschen unter 50 Jahren, wobei rund die Hälfte aller Schlaganfälle durch eine gesündere Lebensweise sicher zu vermeiden wäre. Tatsächlich ist die Statistik nicht schmeichelhaft für die deutsche Bevölkerung: In Deutschland sind bereits 50 % der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig, davon gut 20 % fettleibig (Body-Mass-Index, BMI > 30). Der Diabetes vom Typ II ist bereits zur Volkskrankheit geworden. Dabei ist der Diabetes Typ II in den meisten Fällen vermeidbar, denn anders als der Diabetes Typ 1 (eine Autoimmunerkrankung der Bauchspeicheldrüse, die unabhängig von der Ernährung auftritt) ist der Diabetes Typ 2 im Wesentlichen Folge einer falschen Ernährung. Während diese Form noch vor wenigen Jahren fast ausschließlich bei älteren Menschen auftrat und auch ‚Altersdiabetes‘ genannt wurde, steigt die Zahl an jungen Patienten und Patientinnen mit Diabetes Typ II rasant an, sodass der Begriff Altersdiabetes verlassen wurde. Die Folgen einer falschen Ernährung sind also wesentliche Grundlage für Übergewicht, Adipositas und damit verbundene Zivilisationserkrankungen wie Diabetes Typ II, Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkte und vieles mehr.
Gesunde Ernährung, wie geht das also?
Hier der Schnelldurchgang: Eigentlich ist es nicht schwer, aber der Teufel steckt im Detail. Und um es vorwegzunehmen, man muss weder Vegetarier:in oder Veganer:in werden, noch müssen Fette komplett weglassen werden. Man muss nur in den richtigen Proportionen essen und die Kalorien, die man einnimmt auch wieder verstoffwechseln. Wer noch einen Schritt weiter gehen will, passt den Umfang und die Zusammensetzung seiner Ernährung den täglichen Gegebenheiten und auch seinem Alter an.
Fette sind nicht per se schlecht, sie sind Geschmacksträger und führen schneller zu einem Sättigungsgefühl als andere Nahrungsbestandteile wie Kohlehydrate oder Eiweiße. Ein Anteil von 20-25 % an der Gesamtnahrung ist sogar sinnvoll. Aber es sollten möglichst ungesättigte Fettsäuren sein, denn die werden deutlich besser verstoffwechselt und lagern sich damit nicht oder kaum ab. Gesättigte Fettsäuren, klassischerweise in tierischem Fleisch, Wurst etc. lagern sich gern in Gefäßen ab und werden damit über die Zeit zu Gefäßrisiko-Faktoren mit erhöhtem Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko. Hier haben vegetarische und vegane Kost durch den Verzicht auf tierische Fette, bzw. bei veganer Ernährung auf alle tierischen Produkte, einen Punkt und reduzieren potenzielle Gefäßrisiko-Faktoren. Aber die Auswahl der richtigen Fette geht natürlich ohne Vegetarismus.
Kohlehydrate und Zucker (Pasta, Kartoffeln, Stärke, Brot, Süßigkeiten) sind schnelle Energieträger, aber sie stimulieren die Freisetzung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse. Insulin wird zwar für die Verstoffwechselung von Kohlenhydraten und Glukose in den Zellen gebraucht. Zuviel Insulin schädigt aber Gefäße und reduziert das Sättigungsgefühl im Gehirn. Ein hoher Kohlehydratanteil führt daher latent zu einem weiter bestehenden Hungergefühl, obwohl man schon genug gegessen hat - mit dem Ergebnis, dass man zu viel isst. Fastfood-Ketten nutzen diesen Effekt gerne aus und erhöhen damit ihren Umsatz. Der hohe Insulinspiegel ist ein Gefäßrisikofaktor. Läuft man am nächsten Tag einen Marathon ist das völlig in Ordnung, da in der Regel alle eingenommenen Kohlehydrate verbrannt werden. Bleibt man am nächsten Tag träge am Schreibtisch oder auf der Couch sitzen, werden nicht verbrannte Kohlenhydrate in Fette verwandelt und man nimmt an Gewicht zu. Der Anteil von Kohlehydraten sollte deshalb nicht über 50-60 % liegen.
Eiweiße sind wichtige Bestandteile für die Aufrechterhaltung bzw. den Aufbau der Muskulatur, die sich je nach Beanspruchung auf – oder abbaut. Ihr Anteil sollte bei 10-20 % liegen. Da Muskelaufbau ohne Proteine bzw. Aminosäuren fast nicht möglich ist, herrscht Einigkeit darüber, dass eine rein vegane Ernährung im Kindes- und Jugendalter und im höheren nicht sinnvoll ist. Bereits im mittleren Lebensalter verliert der Körper ca. 1 % seiner Muskelmasse jährlich. Bewegungsmangel und Unterversorgung an Proteinen führen hier schneller zu Muskelabbau und zu Gebrechlichkeit im Alter. Um dem vorzubeugen, sollte man regelmäßig seine Muskulatur trainieren und während eines Muskelaufbau-Trainings den Proteinanteil auf 15-30 % erhöhen.
Ballaststoffe sind unverdauliche pflanzliche Strukturen, enthalten oft aber Vitamine und andere wichtigen Substanzen, regen die Verdauung an und fördern das Sättigungsgefühl. Ihr Anteil an der Nahrung sollte mindestens 5- 10 % betragen.
Je nach Lebenssituation sollte die Zusammensetzung der Nahrung angepasst werden. Mehr Kohlehydrate bei absehbar mehr körperlicher Betätigung (Sport, Ausdauertraining), weniger Kohlehydrate, mehr Ballaststoffe bei Inaktivität, mehr Proteine bei Muskelaufbau etc.
In frühen Lebensjahren sind wir meist aktiver, der Kohlehydratanteil darf grundsätzlich höher sein, insbesondere bei Jugendlichen, die viel Sport treiben. Mit zunehmendem Alter werden wir meist inaktiver (was wir vermeiden sollten), die Gesamtkalorienmenge, insbesondere der Anteil an Kohlehydraten und Fetten sollten wieder reduziert werden.
Gesunde Ernährung: nicht schwer aber wichtig zur Vorbeugung und Vermeidung vieler Erkrankungen
Trotz guter Verfügbarkeit und zahlloser Publikationen zum Thema gesunde Ernährung, steigt die Zahl der Menschen mit Übergewicht, Diabetes Typ 2 und anderen Zivilisationskrankheiten stetig weiter. Dabei ist eine gesunde Ernährung nicht schwer, wenn ein paar Grundregeln, wie oben besprochen, beherzigt werden. Eine vegetarische oder vegane Ernährung ist dafür nicht notwendig, kann jedoch helfen, gesättigte Fettsäuren zu vermeiden. Der Verzehr oder Verzicht auf tierische Eiweiße spielt bei der Entwicklung des Diabetes Typ 2 allerdings keine Rolle. Dafür sind Menge und Art der Kohlehydrat-Zuführung entscheidend. Die Grundsätze für gesunde Ernährung sollten allerdings nicht nur zu Hause gelten. Auch Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen kommt hier eine wichtige Bedeutung zu. Denn das halbe Leben verbringen die meisten Menschen als Angestellte in Unternehmen, wo sie tagsüber essen und trinken. Es ist im ureigensten Interesse von Unternehmen, die Zunahme von Zivilisationskrankheiten und Krankheitstagen zu reduzieren und verhindern.
Hier kommt man mit einem Veggie-Day-Zwang allerdings nicht weiter. Es müssen smarte und überzeugende Angebote sein, aktive Ernährungsberatung, gesunde, abwechslungsreiche Gerichte in den Kantinen, Incentives für Sport, Bewegung, Freikarten für den Fitnessclub, freies Mineralwasser und vieles mehr. Gesunde Ernährung ist nicht schwer, aber einer der wichtigsten Bausteine für ein langes und gesundes Leben.
Weitere Informationen:
Gut essen und trinken - die DGE-Empfehlungen: https://www.dge.de/gesunde-ernaehrung/gut-essen-und-trinken/dge-empfehlungen/, aufgerufen am 15.05.2024
Gesundheitsverhalten Erwachsener in Deutschland: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/JHealthMonit_2022_03_Gesundheitsverhalten_GEDA_2019_2020.html, aufgerufen am 15.05.2024
Ernährung und Ernährungsverhalten: https://www.rki.de/DE/Content/GesundAZ/E/Ernaerung_Verhalten/Ernaehrung_Verhalten_node.html, aufgerufen am 15.05.2024
Autoreninformationen
Prof. Dr. Volker Limmroth ist Neurologe und Intensivmediziner, seit 18 Jahren Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Köln-Merheim. Er ist Autor zahlreicher Bücher, wissenschaftlicher Veröffentlichungen sowie Podcasts und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Prävention neurologischer Erkrankungen.
Dr. Gerd Wirtz ist Neurophysiologe, Keynote-Speaker und gefragter Gesundheits-Moderator großer Veranstaltungen. Seine Spezialgebiete sind die Digitalisierung und Zukunft der Medizin. Er ist Autor zahlreicher Bücher, Veröffentlichungen und Podcasts zu wichtigen Themen in der Prävention und Langlebigkeit.