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Hochfunktionale Angststörung: Wenn die Angst Sie unterschwellig begleitet. Psychologin Dr. Lalitaa Suglani im Interview

Von: Elisabeth Maußner

Veröffentlicht: 28.05.2025

Lesezeit: 14 Min.

Behandlung | Patientenwissen | Mein Körper

Eine Frau im Businesskostüm. Ihren Kopf verdeckt ein Bild Ihres lächelnden und fröhlichen Gesichts.
Bei einer hochfunktionalen Angststörung verbergen sich hinter einem erfolgreichen und fröhlichem Menschen Ängste und Unsicherheiten. | © Karin & Uwe Annas - stock.adobe.com

Spinnen, luftige Höhen oder Kontrollverlust – wir alle haben Ängste. Die typische Reaktion darauf ist kämpfen oder erstarren (fight-or-flight Modus). Es gibt aber auch Menschen, die machen trotz Angst einfach weiter, Betroffene einer hochfunktionalen Angststörung zum Beispiel. Diese werden tagtäglich von Ängsten begleitet, wirken nach außen hin allerdings meist besonders erfolgreich und organisiert.

Dass kann gesundheitliche Folgen haben, wie Psychologin Dr. Lalitaa Suglani erklärt. Mit ihrem Buch „Wenn die Angst dich antreibt: Hochfunktionale Angststörung erkennen und überwinden - Das 5-Schritte-Programm“ möchte sie Betroffenen helfen, ein Leben ohne ständige Ängste zu führen. Mit uns hat sie über Ursachen und Bewältigungsstrategien einer hochfunktionalen Angststörung gesprochen.

sanego: Lassen Sie uns zunächst die Begrifflichkeiten klären. Was ist eine hochfunktionale Angststörung?

Dr. Lalitaa Suglani: Hochfunktionale Angststörung ist keine klinische Diagnose, sondern beschreibt die Erfahrungen vieler Menschen, die nach außen hin ruhig, fähig und erfolgreich wirken, innerlich aber mit Sorgen, Druck und unerbittlicher Selbstkritik kämpfen. Diese Menschen bringen oft hervorragende Leistungen im Beruf, halten Termine ein und kümmern sich um alle anderen, zahlen jedoch einen hohen Preis dafür.

Ein hilfreiches Bild hierfür ist der Schwan: Sanft gleitet er über das Wasser, anmutig und gelassen. Doch unter der Oberfläche rudert er wild mit den Beinen, um sich über Wasser zu halten und vorwärtszukommen. So fühlt sich hochfunktionale Angststörung an: nach außen Ruhe, nach innen Chaos.

Weil sie meist im Verborgenen abläuft, bleibt die Störung oft unerkannt und unbehandelt. Doch die Auswirkungen sind weitreichend. Mit der Zeit kann die ständige innere Belastung zu Burnout, emotionaler Erschöpfung, Einsamkeit und sogar körperlichen Problemen wie Schlafstörungen, Muskelverspannungen oder Verdauungsbeschwerden führen. Oft entsteht das tiefe Gefühl, nicht gesehen oder missverstanden zu werden, weil von außen alles „gut“ aussieht. Diese Unsichtbarkeit trägt zusätzlich zur Isolation der Betroffenen bei.

Die Ursachen für eine hochfunktionale Angststörung liegen oft in der Kindheit

sanego: Warum entstehen hochfunktionale Angststörungen? Was sind die Auslöser?

Dr. Lalitaa Suglani: Hochfunktionale Angstzustände entstehen oft aus frühen Lebenserfahrungen, etwa wenn Sie in einem Umfeld aufwachsen, in dem Liebe, Aufmerksamkeit oder Anerkennung von Leistung, Verantwortungsbewusstsein oder dem ständigen „Gutsein“ abhängig waren. Mit der Zeit lernen Betroffene, dass ihr Wert davon abhängt, wie viel sie tun, wie viel sie leisten oder wie sehr sie anderen gefallen.

Wir möchten früheren Bindungspersonen nicht die Schuld zu zuschieben, sondern verstehen, wie Menschen mit hochfunktionaler Angststörung die Welt erlebt haben und was ihr Selbstwertgefühl geprägt hat. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir alle in der Kindheit eine Art inneren Bauplan entwickeln, eine Linse, durch die wir uns selbst und unseren Platz in der Welt betrachten. Bei Menschen mit hochfunktionalen Angstzuständen lautet dieser Bauplan oft: „Ich muss etwas erreichen, um akzeptiert zu werden“ oder „Wenn ich nicht perfekt bin, werde ich abgelehnt“, und oft geschieht dies auf einer unterbewussten Ebene.

Dieser Bauplan wird zur Grundlage dafür, wie wir durchs Leben gehen. Und weil er oft unbewusst ist, merken wir vielleicht gar nicht, dass wir nach diesen Regeln leben, bis Angst, Burnout oder Überforderung an die Oberfläche kommen. Auslöser können wahrgenommenes Versagen, zwischenmenschliche Konflikte, Unsicherheit, Veränderung oder sogar Erfolg und Lob sein – alles, was die tiefe Angst auslöst, nicht gut genug zu sein oder „entdeckt“ zu werden. Der innere Druck ist konstant, auch wenn ihn niemand sieht.

sanego: Welche Methoden nutzen Menschen mit hochfunktionaler Angststörung, um ihre Angst zu verbergen?

Dr. Lalitaa Suglani: Menschen mit hochfunktionaler Angststörung entwickeln sich oft zu Meistern der Maskierung. Sie haben gelernt, dass Kompetenz, Gelassenheit und Fähigkeit gleich Sicherheit, Anerkennung und Zugehörigkeit bedeuten. Deshalb entwickeln sie unbewusst Verhaltensweisen, die ihnen helfen, ruhig zu wirken, selbst wenn ihre innere Welt alles andere als ruhig ist. Sie sind ständig beschäftigt und nehmen sich zu viel vor, um Stillstand zu vermeiden (was Unbehagen oder aufdringliche Gedanken mit sich bringen kann). Sie bereiten sich übermäßig auf alles vor, in der Hoffnung, Fehler oder Kritik zu vermeiden. Sie bringen Höchstleistungen, um die Kontrolle zu behalten, und sagen oft zu jeder Bitte Ja, aus Angst, andere zu enttäuschen oder unzulänglich zu wirken.

Auf der emotionalen Ebene, lenken sie vielleicht mit Humor oder Sarkasmus von tieferen Gefühlen ab oder halten Gespräche oberflächlich. Andere isolieren sich, wenn ihnen alles zu viel wird, und ziehen sich in Schweigen zurück – nicht aus Frieden, sondern aus Erschöpfung oder Überforderung. Es kommt häufig vor, dass die Menschen um sie herum sagen: „Du bist immer so ruhig“ oder „Ich weiß nicht, wie du das alles schaffst“, während innerlich ihre Gedanken rasen, ihre Brust sich eng anfühlt und sie still mit ständigen Selbstzweifeln oder Versagensängsten kämpfen.

Sie tragen oft eine tiefe innere Angst in sich: „Wenn ich aufhöre, breche ich zusammen.“ Deshalb kann es sich wie Schwäche anfühlen, langsamer zu werden oder um Hilfe zu bitten, statt Erleichterung. Die Maskierung ist keine Täuschung, sondern Überlebenskampf.

Dr. Lalitaa Suglani

ist eine preisgekrönte Psychologin aus den USA. Sie arbeitet insbesondere mit Führungskräften, um Ihnen zu mehr Selbstwertgefühl und Selbstakzeptanz zu verhelfen. Zudem ist sie Autorin des Buches „High Functioning Anxiety“, das auf Deutsch unter dem Titel „Wenn die Angst dich antreibt: Hochfunktionale Angststörung erkennen und überwinden - Das 5-Schritte-Programm“ erschienen ist.

Eine hochfunktionale Angststörung kann schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen haben

sanego: Welche Folgen kann eine hochfunktionale Angststörung haben?

Dr. Lalitaa Suglani: Die schwerwiegendsten Auswirkungen sind oft unsichtbar: Burnout, Einsamkeit, chronische Selbstzweifel und emotionale Isolation.

Da Menschen mit hochfunktionaler Angststörung ständig „an“ sind, leben sie in einem nahezu konstanten Zustand innerer Anspannung. Dies kann zu körperlichen Symptomen wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Muskelverspannungen und Schlafstörungen führen.

Emotional fühlen sie sich oft von Glück oder Freude abgeschnitten, sie jagen ständig dem nächsten Ziel hinterher, sind aber selten präsent. Burnout ist eines der größten Risiken, insbesondere da die Anzeichen oft erst bemerkt werden, wenn sie schon tief im Burnout stecken. Sie haben das Gefühl, alles zusammenhalten zu müssen, weshalb sie selten um Hilfe bitten. Auch Einsamkeit kann sich einschleichen, da die Menschen um sie herum annehmen, sie würden gut zurechtkommen, während sie sich innerlich missverstanden oder übersehen fühlen. Ihre Beziehungen können darunter leiden, da Perfektionismus und innerer Druck zu Gereiztheit, Grübelei oder emotionalem Rückzug führen können.

sanego: Wie kann ich feststellen, ob ich an einer hochfunktionalen Angststörung habe? Gibt es einen Angststörungstest?

Dr. Lalitaa Suglani: Es gibt keine formale Diagnose für „hochfunktionale“ Angststörungen in Diagnosehandbüchern, aber das macht die Erfahrung nicht weniger gültig oder real.

Man erkennt sie oft nicht daran, wie ängstlich man aussieht, sondern daran, wie man sich fühlt, z. B. an rasenden Gedanken, Engegefühl in der Brust, Perfektionismus, Angst, andere zu enttäuschen, dem Bedürfnis, es allen recht zu machen, dem Hochstapler-Syndrom und einem Antrieb, der sich eher wie Zwang als wie Ehrgeiz anfühlt. Wenn Sie aufhören zu funktionieren, können Sie außerdem Gefühle wie Scham und Schuld verspüren, die Sie überwältigen.

Sie können äußerlich erfolgreich sein, Termine einhalten, für andere da sein, bei der Arbeit brillieren, während Sie innerlich mit Unruhe, Überforderung oder Versagensängsten kämpfen. Online-Selbsteinschätzungen können hilfreich sein, um über Ihre Symptome nachzudenken, aber das Wichtigste ist, das „Warum“ hinter Ihrem Verhalten zu erkennen. Erreichen Sie etwas, weil Sie es wollen, oder weil Sie das Gefühl haben, es tun zu müssen, um okay zu sein?

Tipps und Hilfe bei einer hochfunktionalen Angststörung

sanego: Was kann ich tun, wenn ich eine hochfunktionale Angststörung habe? Was sind die ersten Schritte?

Dr. Lalitaa Suglani: Der erste Schritt ist Achtsamkeit: Lernen Sie, die eigene innere Welt behutsam und ohne Vorurteile zu beobachten. Die meisten Menschen mit hochfunktionalen Angststörungen haben jahrelang Unbehagen unterdrückt, ihre eigenen Bedürfnisse ignoriert oder sich nur mit „Beschäftigtsein“ beschäftigt, um die Stille zu vermeiden, die offenbaren könnte, wie ängstlich sie sich wirklich fühlen. Daher ist es sehr wirkungsvoll, einfach nur zu beobachten.

Fangen Sie an, sich selbst reflektierende Fragen zu stellen wie:

  • Was fühle ich unter diesem Drang, mehr zu tun?

  • Was befürchte ich, wenn ich langsamer werde oder Nein sage?

  • Wessen Stimme leitet meine Entscheidungen, meine oder die eines anderen?

Dann kommt die Erlaubnis, sich auszuruhen, zu fühlen und nicht immer alles im Griff zu haben. Viele Menschen mit hochfunktionalen Angststörungen tragen eine unsichtbare Last der Erwartung mit sich. Sie wurden dafür gelobt, zuverlässig, gelassen und fähig zu sein, und deshalb spielen sie diese Version ihrer selbst weiterhin, selbst wenn es anstrengend ist. Doch Heilung beginnt, wenn Sie anfangen, sich selbst die Erlaubnis zu geben, mehr als nur funktional zu sein, sondern menschlich, chaotisch, müde, unsicher, unvollkommen und dennoch wertvoll.

Therapie kann ein transformativer Raum für diese Art der Arbeit sein, insbesondere wenn sie über die traditionelle Gesprächstherapie hinausgeht und den Körper mit einbezieht. Ansätze wie somatische Therapie, Atemarbeit oder EMDR helfen dem Nervensystem, Stress und Ängste zu verarbeiten, die allein durch Reden nicht immer erreicht werden können. Der Körper ist der Schlüssel, und solange wir uns nicht damit befassen, bleibt die Angst oft in einer Schleife stecken.

Gleichzeitig können kleine, regelmäßige tägliche Übungen helfen, innere Sicherheit wiederherzustellen:

  • Tagebuchschreiben, um Gedanken aus dem Kopf zu bekommen und ins Blickfeld zu rücken

  • Achtsamkeits- oder Erdungsübungen, um sich wieder mit der Gegenwart zu verbinden

  • Grenzen, die Ihnen helfen, ohne Schuldgefühle Ja zu sich selbst zu sagen

  • Routinen, die Ihnen auch im stressigen Alltag Momente der Ruhe schenken

Denken Sie daran: Es geht nicht darum, sich selbst zu heilen. Es geht nicht darum, ein völlig anderer Mensch zu werden. Es geht darum, zu verlernen, wer Sie zu sein glaubten, um sich sicher oder akzeptiert zu fühlen, und sich unter dem Druck wieder mit dem zu verbinden, der Sie bereits sind. Deshalb habe ich das Buch in zwei Abschnitte unterteilt: Teil 1 und 2 beginnen mit dem Verlernen und Teil 3, 4 und 5 mit dem Lernen.

Sie sind nicht „zu sensibel“ oder „zu viel“, Sie mussten sich lediglich an ein Umfeld anpassen, das Ihre Bedürfnisse nicht verstanden hat. Heilung ist Ihr Weg zurück zu Ihnen selbst.

Buchcover Wenn die Angst dich antreibt
Buchcover Wenn die Angst dich antreibt | © kailash Verlag

sanego: In Ihrem Buch sprechen Sie von einem Fünf-Schritte-Programm. Wie funktioniert das?

Dr. Lalitaa Suglani: Das fünfstufige Modell, das ich in „Hochfunktionale Angststörung“ vorstelle, basiert genau auf dem Prozess, den ich mit meinen Klienten in meiner therapeutischen Arbeit durchlaufe. Es soll Menschen helfen, nicht nur mit Angst umzugehen, sondern sie wirklich zu verstehen, zu lindern und von innen heraus zu transformieren.

Der Prozess ist bewusst in zwei Teile gegliedert: Verlernen und Lernen.

TEIL EINS: VERLERNEN

Hier beginnen wir, die Schichten behutsam abzutragen. Die hochfunktionale Angststörung entwickelt sich oft als Schutzreaktion auf frühe Erfahrungen, Bindungsverletzungen oder subtile Konditionierung in Bezug auf Wert und Leistung. Deshalb beginnen wir damit, das „Warum“ hinter Ihren Mustern zu untersuchen – nicht um Schuld zuzuweisen, sondern um Klarheit und Mitgefühl zu schaffen.

Schritt 1: Entdecken Sie Ihre Muster und beginnen Sie, die Teile Ihrer selbst freizulegen, die verborgen oder angepasst waren, um damit umzugehen. In diesem Schritt geht es darum, die unbewussten Muster zu identifizieren, die Ihr Verhalten steuern. Wir untersuchen, wie Ihre vergangenen Erfahrungen, Ängste und Überzeugungen Sie zu dem Menschen gemacht haben, der Sie heute sind, und konzentrieren uns dabei insbesondere auf die „verborgenen Persönlichkeiten“, die bei hochfunktionaler Angststörung zum Vorschein kommen.

Schritt 2: Entschlüsseln Sie Ihre Muster. Hier erforschen wir Ihre verinnerlichten Überzeugungen und Ihre Schutzrollen. Dazu gehört, sich Ihren Schattenseiten mutig zu stellen und zu verstehen, woher sie stammen.

TEIL ZWEI: LERNEN

Sobald wir das Alte hinter uns gelassen haben, ist es Zeit, neue Werkzeuge, Praktiken und Denkweisen aufzubauen, die ein gesundes, authentisches Ich unterstützen. In diesem Teil der Reise konzentrieren wir uns darauf, zu lernen, wie Sie sich wieder mit sich selbst verbinden, Ängste überwinden und neue Denk- und Lebensweisen entwickeln.

Schritt 3: Entwickeln Sie Selbstliebe und überwinden Sie Ihre Angst. In diesem Schritt geht es darum, sich wieder mit sich selbst zu verbinden. Sie lernen, Ihrer inneren Führung zu vertrauen und aus Selbstvertrauen statt aus Angst zu handeln. Indem Sie Ihre tief verwurzelten Ängste und ihre Macht über Sie erkennen, können Sie beginnen, sie loszulassen.

Schritt 4: Akzeptieren Sie Ihre Sensibilität und gewinnen Sie Ihr Selbstvertrauen zurück. Sensibilität wird oft als Schwäche angesehen, doch in diesem Schritt interpretieren wir sie als Stärke neu. Wir nehmen Ihre Sensibilität an und lernen, mit Ihren Emotionen umzugehen, ohne dass sie Sie überwältigen. Sie gewinnen auch das Vertrauen in sich selbst und in Ihre Fähigkeit zurück, mit schwierigen Emotionen und Situationen umzugehen.

Schritt 5: Entfesseln Sie Selbstmitgefühl. Im letzten Schritt lernen Sie, sich selbst mit der gleichen Freundlichkeit und dem gleichen Verständnis zu begegnen, die Sie einem geliebten Menschen entgegenbringen würden. In diesem Kapitel zeige ich Ihnen zwölf Kräfte. Wir verlagern den inneren Dialog von Kritik zu Mitgefühl und helfen Ihnen, Ihr eigener größter Unterstützer statt Ihr schärfster Kritiker zu werden. Dadurch schaffen Sie eine neue, bestärkende Erzählung darüber, wer Sie sind und wozu Sie fähig sind.

Wie können Angehörige und Freunde unterstützen?

sanego: Wie können Angehörige und Freunde sowie Freundinnen Betroffene unterstützen?

Dr. Lalitaa Suglani: Jemanden mit hochfunktionaler Angststörung zu unterstützen, erfordert mehr als nur die Anzeichen zu erkennen; es bedeutet, die tieferen Komplexitäten dessen zu verstehen, was er durchmacht, insbesondere wenn es ihm oberflächlich gut zu gehen scheint.

Familie und Freunde können am besten helfen, indem sie den Betroffenen einfach glauben. Hochfunktionale Angststörung tarnt sich oft als Produktivität, Gelassenheit oder Unabhängigkeit, doch innerlich kämpft der Betroffene möglicherweise mit überwältigender Angst oder Selbstzweifeln. Es ist wichtig, nach dem emotionalen Wohlbefinden zu fragen, nicht nur den Aufgaben oder Erfolgen. Fragen Sie, wie es dem Betroffenen wirklich geht, hinter den Kulissen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Unterstützung ist es, Ermutigung zu bieten, ohne zu versuchen, den Betroffenen zu „heilen“. Hochfunktionale Angststörung führt oft dazu, dass Betroffene sich ständig unter Leistungsdruck fühlen. Indem Sie sie dabei unterstützen, gesunde Grenzen zu setzen, ihnen Raum für Ruhe zu geben und ihre Bemühungen (nicht nur ihre Ergebnisse) zu würdigen, nehmen Sie ihnen die Last ab, sich ständig beweisen zu müssen.

Manchmal ist Betroffenen hochfunktionaler Angststörungen gar nicht bewusst, wie sehr sie darunter leiden, weil die Angst zu einem so tief verwurzelten Teil ihres Alltags geworden ist. Geduld und die Erkenntnis, dass dies kein Zeichen von Schwäche, sondern eine komplexe emotionale Reaktion auf zum Beispiel Kindheitstraumata und frühe Überzeugungen ist, helfen, einen Raum zu schaffen, in dem sie sich sicher fühlen und sie selbst sein können, frei von Leistungsdruck oder Erwartungen, um ihren Wert zu erlangen. Durch Ihre beständige, mitfühlende Präsenz können Sie ihnen helfen, sich gesehen, gehört und unterstützt zu fühlen, was ihnen hilft, zu heilen.

Können Betroffene die Angst loswerden?

sanego: Ist es überhaupt möglich, die Angst dauerhaft loszuwerden – oder geht es vielmehr darum, einen anderen Umgang damit zu finden?

Dr. Lalitaa Suglani: Das ist eine interessante Frage, denn die meisten Menschen, die in Therapie oder Coaching kommen, sagen: „Ich will sie einfach loswerden.“ Doch manchmal kann Angst tatsächlich hilfreich sein, wenn wir wissen, wie wir sie regulieren können. Es geht darum, zu wissen, wie wir sie fühlen, verarbeiten und uns nicht von ihr unsere Entscheidungen diktieren zu lassen. Wir müssen weder verlieren, was wir bereits haben, noch die Angst ganz beseitigen, sondern lernen, mit ihr so ​​zu leben, dass wir authentischer und gelassener sein können. Nehmen wir etwa den Zeichentrickfilm „Alles steht Kopf“, bei dem Angst neben anderen Emotionen ein entscheidender Teil der Entwicklung und alltäglicher Entscheidungen ist.

Angst ist ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Erfahrung. Sie ist als Überlebensmechanismus tief in uns verankert, und niemand ist völlig immun dagegen. Das Ziel ist nicht, Angst auszurotten, denn das ist unrealistisch. Sie wird uns im Laufe unseres Lebens in verschiedenen Formen und Situationen begegnen. Entscheidend ist jedoch, wie wir darauf reagieren. Bei hochfunktionaler Angst verschiebt sich der Fokus, wir möchten sie nicht mehr beseitigen, sondern die Beziehung zu ihr verändern. Es geht darum, zu lernen, mit der Angst zu leben, ohne dass sie das eigene Leben bestimmt. Wenn wir in Angst gefangen sind, wird sie zur Linse, durch die wir alles sehen, insbesondere unseren Wert. Wir fürchten Ablehnung, Verlassenwerden, Versagen und Unvollkommenheit, oft so sehr, dass wir Dinge vermeiden, die uns helfen könnten, zu wachsen.

Der Schlüssel liegt darin, nicht zuzulassen, dass Angst die eigenen Entscheidungen bestimmt oder den eigenen Wert definiert. Wenn man Selbstbewusstsein und Selbstmitgefühl entwickelt, beginnt man zu verstehen, dass Angst eine natürliche Reaktion ist, die einen aber nicht kontrollieren muss. Indem man von einer reaktiven zu einer aktiven/zielgeführten Denkweise wechselt, erlangt man die Fähigkeit, innezuhalten, einzuschätzen und mit Absicht zu handeln, anstatt aus Angst heraus – dies gelingt durch das Befolgen der 5 Schritte.

Letztendlich geht es darum, Raum für Angst zu schaffen, ohne dass sie die eigenen Gedanken oder Handlungen dominiert oder ständig das Steuer übernimmt. Wahre Freiheit entsteht, wenn Sie ihr Selbstwertgefühl nicht länger an Furchtlosigkeit oder Perfektion knüpfen. Stattdessen akzeptieren Sie Angst als Teil der menschlichen Erfahrung und lernen, mit ihr mit Anmut und Widerstandskraft umzugehen. Wenn Sie der Angst Raum geben können, ohne dass sie Sie überwältigt, schaffen Sie Raum für eine tiefere, authentischere Verbindung mit Ihnen selbst und der Welt um Sie herum.

Autoreninformation

Elisabeth Maußner, Medizinische Redakteurin

Elisabeth Maußner

Medizinische Redakteurin

Elisabeth Maußner ist studierte Journalistin und schreibt bei der ärzte.de MediService GmbH & Co. KG seit 2017 zu medizinischen Themen. Ihr Ziel: komplexe Zusammenhänge und wissenschaftliche Hintergründe einfach und für jeden verständlich auszudrücken. Die erfahrene Autorin hat bereits über 400 Artikel zu Gesundheits- und Medizinthemen verfasst, die u.a. auf aerzte.de, sanego.de und arzttermine.de veröffentlicht wurden.

Außerdem durfte sie Erfahrung beim Radio und beim Produzieren von Videos sammeln.

Persönlich interessiert sie sich insbesondere für Kinder- und Frauengesundheit, eine ausgewogene, intuitive Ernährung und die Digitalisierung im Gesundheitswesen.

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