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Raus aus dem Hormonkarussell ab 35: Gynäkologin Dr. med. Judith Bildau im Interview

Von: Elisabeth Maußner

Veröffentlicht: 23.05.2024

Lesezeit: 4 Min.

Familie | Patientenwissen

Zwei Frauen sitzen nah beieinander, halten sich an den Händen und lachen. Eine hat den Arm um die andere gelegt.
Hormonelle Beschwerden müssen Sie im Alltag nicht einschränken - auch in der Phase vor den Wechseljahren. | © Rawpixel.com - stock.adobe.com

Die Pubertät ist lange vorbei, zu den Wechseljahren ist es noch hin und doch haben Sie Beschwerden? Frauen ab 35 Jahren spüren oft schon erste hormonelle Veränderungen, die mit allerlei Neuerungen und Symptomen aufwarten. Gynäkologin Dr. med. Judith Bildau begegnet Ihnen regelmäßig in ihrer Praxis und hat ein Buch dazugeschrieben.

In „Raus aus der Hormonkarussell“ hat sie all ihre Erfahrungen und Tipps für Frauen in dieser Lebensspanne zusammengetragen. Doch was passiert dabei eigentlich im Körper und was hilft am besten? Für uns hat sie schon mal die drängendsten Fragen beantwortet.

sanego: Bei Frauen sprechen wir überwiegend über zwei Phasen mit großen hormonellen Veränderungen: Die Pubertät und die Menopause. Sie haben sich jetzt auf die Zeit zwischen 35 und 45 Jahren konzentriert. Was passiert da genau im Körper?

Dr. med. Judith Bildau: Das ist tatsächlich so- wir haben grundsätzlich diese beiden Phasen im Kopf, wenn wir an das Thema „hormonelle Umstellung“ denken. Das ist allerdings sehr kurz gedacht. Wenn wir ganz ehrlich sind, dann ist es nämlich zunächst schon einmal so, dass sich in einem einzigen Zyklus, also während eines Monats, hormonell wahnsinnig viel ändert. Viele Frauen spüren diese Veränderungen sowohl körperlich als auch seelisch.

Und dann bereiten sich die „großen“ hormonellen Umstellungen ja auch vor; sie passieren nicht einfach so über Nacht. Das finde ich persönlich bei den Wechseljahren besonders eindrücklich. Schon einige Jahre bevor die Perimenopause so richtig losgeht, haben viele Frauen diffuse Beschwerden, fühlen sich physisch und psychisch nicht wohl. Häufig werden die Symptome, wie schlechter Schlaf, Dünnhäutigkeit, ja, sogar vermehrt Nahrungsmittelintoleranzen und Allergien, auf den allgemeinen und alltäglichen Stress geschoben- in Wahrheit ist da hormonell aber schon ganz schön was los. Unsere Eizellreserven neigen sich langsam, aber sicher dem Ende zu.  Wir haben immer mehr sogenannte „anovulatorische Zyklen“, das heißt, Zyklen ohne Eisprung. Durch den fehlenden Eisprung fehlt letztendlich das Gelbkörperhormon, das Progesteron. Und das macht sich bemerkbar.

sanego: Und welche Herausforderungen und Beschwerden kann das verursachen?

Dr. med. Judith Bildau: Durch den niedrigen Progesteronspiegel ist das Östrogen im Verhältnis erhöht, wir sprechen also von einer relativen Östrogendominanz. Und diese kann sehr unangenehme Symptome verursachen. Wassereinlagerungen, spannende Brüste, Stimmungsschwankungen, einen kurzen Zyklus mit starker Blutung, vermehrten PMS-Beschwerden, Schlafstörungen und, und, und. Ich sehe sehr viele Frauen zwischen 35 und 45 Jahren, die regelrecht verzweifelt sind, weil sie sich selbst nicht mehr wiedererkennen. Und überall hören sie: „Für die Wechseljahre sind Sie aber noch viel zu jung!“.

Dr. med. Judith Bildau

ist Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtsmedizin. Als Autorin und Medical Influencerin klärt sie unterhaltsam und leicht verständlich über alle Themen rund um die Frauengesundheit auf.

sanego: Können Frauen diesen Problemen vorbeugen?

Dr. med. Judith Bildau: Vorbeugen in dem Sinne nicht, denn diese hormonellen Veränderungen sind, wie auch die Wechseljahre, erst einmal ein ganz natürlicher Prozess. Es können aber die Beschwerden behandelt werden. Keine Frau muss leiden!  

sanego: An wen können sich Frauen zwischen 35 und 45 Jahren wenden, wenn Sie Beschwerden und/oder Veränderungen bei sich bemerken?

Dr. med. Judith Bildau: Am besten an ihren Gynäkologen oder ihre Gynäkologin.  

sanego: Sie empfehlen in Ihrem Buch „Raus aus dem Hormonkarussell“ Heilpflanzen, Mikronährstoffe und gezielte Ernährung. Wie und wobei kann das helfen?

Dr. med. Judith Bildau: Richtig! Gerade in den Jahren vor der Perimenopause, also den Wechseljahren, gibt es einer Reihe wirksamer Phytopharmaka, die den Zyklus noch einmal regulieren können und zudem ausgleichend bei einer relativen Östrogendominanz mit Progesteronmangel wirken. Das sind unter anderem der Mönchspfeffer, die Schafgarbe und der Frauenmantel.

Zudem haben Studien gezeigt, dass einige Mikronährstoffe, in ausreichend hoher Dosierung, für eine Linderung zum Beispiel von PMS-Beschwerden helfen. Diese können nun gezielt zugeführt werden. Aber auch die Ernährung kann hier unterstützend wirken. Soja in unseren Mahlzeiten zählt zu den Phytoöstrogenen und ist ein wahres „Wundermittel“. Es wirkt ausgleichend bei Östrogendominanz und stimulierend bei Östrogenmangel.

Buchcover Raus aus dem Hormonkarussell
Buchcover Raus aus dem Hormonkarussell | © GU Verlag

sanego: Worauf sollten Frauen ab 35 Jahren noch achten, um gesund zu altern?

Dr. med. Judith Bildau: Neben einer ausgewogenen, mikronährstoffreichen Ernährung und überhaupt allgemeinem Wohlbefinden, sollten bereits so junge Frauen in ihre Knochen- und Muskelgesundheit investieren. Denn die Verringerung der Knochendichte beginnt schon in unseren 30ern; auch unsere Muskelmasse nimmt nun langsam ab. Sport und gezieltes Muskelaufbautraining ist eine wichtige Investition in unseren Körper!

sanego: Was wollen Sie unseren Leser:innen zum Abschluss noch mit auf den Weg geben?

Dr. med. Judith Bildau: Mir ist es ganz besonders wichtig, dass Frauen verstehen, was in ihrem Körper vor sich geht! Viel zu lange wurden weibliche Beschwerden immer wieder kleingeredet und nicht ernst genommen. Damit muss unbedingt Schluss sein! Deshalb ist es so wichtig, dass die Frauen selbst ein Verständnis entwickeln- umso besser können sie dann für ihre Gesundheit eintreten. Ich wünsche mir, dass Frauen die Anwältinnen ihrer Gesundheit werden. Deshalb liebe Frauen: Nur Mut!

Autoreninformation

Elisabeth Maußner

Medizinische Redakteurin

Elisabeth Maußner ist studierte Journalistin und schreibt bei der ärzte.de MediService GmbH & Co. KG seit 2017 zu medizinischen Themen. Ihr Ziel: komplexe Zusammenhänge und wissenschaftliche Hintergründe einfach und für jeden verständlich auszudrücken. Die erfahrene Autorin hat bereits über 400 Artikel zu Gesundheits- und Medizinthemen verfasst, die u.a. auf aerzte.de, sanego.de und arzttermine.de veröffentlicht wurden.

Außerdem durfte sie Erfahrung beim Radio und beim Produzieren von Videos sammeln.

Persönlich interessiert sie sich insbesondere für Kinder- und Frauengesundheit, eine ausgewogene, intuitive Ernährung und die Digitalisierung im Gesundheitswesen.

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